In Serbien haben sich in den letzten Monaten massive Proteste gegen die Regierung formiert. Der Auslöser war der tragische Einsturz eines Bahnhofs-Vordachs in Novi Sad, bei dem 15 Personen, darunter zwei Kinder, ums Leben kamen. Dieser Vorfall, der im November 2023 die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde durch eine nachlässige Renovierung eines chinesischen Unternehmens verursacht. Der Baustandort war Teil der größeren „Belt and Road“-Initiative, einem von China finanzierten Infrastrukturprojekt, das eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Belgrad und Budapest umfasst. Die Wut der Bevölkerung richtete sich nicht nur gegen den Vorfall selbst, sondern gegen die weit verbreitete Korruption, die zur Intransparenz bei öffentlichen Bauprojekten führt.
Die Proteste begannen ursprünglich als studentische Bewegung, haben sich jedoch schnell auf andere Altersgruppen und Berufsstände ausgeweitet. In über 300 Städten wurden fast tägliche Demonstrationen abgehalten, wobei die größte Versammlung am 22. Dezember 2023 in Belgrad stattfand, an der rund 100.000 Menschen teilnahmen. Laut Umfragen unterstützen mehr als 61 Prozent der Bevölkerung die Protestbewegung. Studierende von 65 der 80 Fakultäten traten in den Ausstand, und auch Lehrer sowie Landwirte schließen sich der Bewegung an.
Rücktritt des Ministerpräsidenten und Neuwahlen
Ministerpräsident Miloš Vučević gab am 28. Januar 2025 seinen Rücktritt bekannt, nachdem er den Druck der Massenproteste nicht länger aufrechterhalten konnte. Sollte bis zur Frist im Juni 2025 keine neue Regierung gebildet werden, sind Neuwahlen in Serbien angesetzt. Vučić, der seit 2012 an der Macht ist, wird beschuldigt, die Proteste zu unterdrücken und die Demonstranten als westlich finanzierte Unruhestifter zu brandmarken.
Besonders hervorzuheben ist der kontinuierliche Protestmarsch von 500 Studierenden, der die 80 Kilometer von Belgrad nach Novi Sad zurücklegte, um auf die Ungerechtigkeiten in ihrem Land aufmerksam zu machen. Sie schlossen sich einer Blockade von drei Donaubrücken an, die als symbolischer Akt gegen die Missstände in der serbischen Politik dient.
Internationale Reaktionen und die EU
Die internationale Gemeinschaft und die EU haben bislang erstaunlich wenig auf die wachsenden Proteste in Serbien reagiert. Insbesondere die EU-Kommission hat sich nicht geäußert, was im Kontrast zu ihrer schnellen Unterstützung in anderen Fällen, wie in Georgien, steht. Trotz Serbiens Status als EU-Beitrittskandidat seit 2012 bleibt die Haltung der EU unklar, insbesondere angesichts der Berichte über Korruption und die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Land.
Serbien nimmt eine zentrale geopolitische Rolle auf dem Balkan ein. Der Umgang mit Flüchtlingen, die in die EU gelangen wollen, ist eng mit den politischen Überlegungen der Union verknüpft. In einem Abkommen mit der EU zur Stationierung der Frontex-Agentur an den serbischen Grenzen zeigt sich die strategische Bedeutung des Landes. Die Beziehungen zu Russland sind ebenfalls brisant: Obwohl Serbien den russischen Einmarsch in die Ukraine verurteilte, hat es sich den EU-Sanktionen nicht angeschlossen.
Angesichts der anhaltenden Proteste und der instabilen politischen Lage steht Serbien vor einer entscheidenden Zeit, in der sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch internationale Akteure gefordert sind, auf die Entwicklungen im Land zu reagieren.