Heute ist die politische Lage in der Türkei angespannt, nachdem der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von den türkischen Behörden festgenommen wurde. İmamoğlu, ein prominenter Oppositionspolitiker und Vertreter der säkularen „Republikanischen Volkspartei“ (CHP), wurde kurz vor seiner erwarteten Nominierung als Präsidentschaftskandidat verhaftet. Die Vorwürfe gegen ihn beinhalten Korruption, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und die Führung einer kriminellen Organisation. Diese Festnahme hat landesweite Proteste ausgelöst, die nicht nur in Istanbul, sondern auch in anderen Städten stattfanden, wo Tausende gegen das Vorgehen der Regierung demonstrierten.
Die Situation eskalierte rasch, als die Polizei rund 100 Personen festnahm, darunter Politiker, Journalisten und Geschäftsleute. Kurz nach İmamoğlus Verhaftung erließ der Gouverneur von Istanbul eine viertägige Ausgangsbeschränkung für die Stadt. Die Demonstranten, die regierungsfeindliche Parolen riefen, forderten lautstark İmamoğlus Freilassung und skandierten: „Erdogan, Diktator! İmamoğlu, du bist nicht allein!“ Die türkische Regierung verbot alle öffentlichen Versammlungen und sperrte viele Straßen sowie einige U-Bahn-Linien, um die Proteste einzudämmen.
Massenproteste und staatliche Repression
Die Proteste, die von Tausenden organisiert wurden, sind laut „BBC“ eine der größten Manifestationen öffentlicher Wut in den letzten Jahren. Studierende der Istanbuler Universität durchbrachen Polizeibarrieren während eines Marsches, und es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei Pfefferspray einsetzte. Kritiker der Regierung werfen Präsident Erdoğan vor, mit der Festnahme seines stärksten Rivalen, İmamoğlu, einen weiteren Schritt zur Unterdrückung der Opposition zu machen. Führende EU-Politiker, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, haben Besorgnis über die Entwicklungen geäußert.
Die CHP bezeichnet die Festnahme als einen „versuchten Staatsstreich“ und fordert die Rückkehr zu demokratischen Standards. Auch in europäischen Städten, darunter Berlin, fanden Demonstrationen gegen das Vorgehen der türkischen Behörden statt. Die Internetüberwachungsorganisation „Netblocks“ stellte erhebliche Einschränkungen im Zugang zu sozialen Netzwerken in der Türkei fest, was als Versuch gewertet wird, die Mobilisierung von Protestierenden zu erschweren.
Der politische Kontext
Der Hintergrund dieser politischen Unruhen ist komplex. İmamoğlu gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahlen 2028. Erdoğan, der seit über 20 Jahren an der Macht ist, sieht sich gezwungen, möglicherweise vorgezogene Neuwahlen anzusetzen, um seine Wiederwahl zu sichern, da er laut Verfassung 2028 nicht erneut kandidieren darf. Die Opposition, angeführt von der CHP, plant, İmamoğlu frühzeitig als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, um ihn vor Repressionen der Regierung zu schützen.
Die umfassenden Ermittlungen gegen İmamoğlu und andere Oppositionsführer erfolgen vor dem Hintergrund, dass die türkische Justiz oft als politisches Instrument Erdogans angesehen wird. Zudem wird Erdogans Regierung seit längerem wegen des Umgangs mit politischen Gegnern kritisiert. Historisch betrachtet spielte das Militär eine zentrale Rolle in der Politik der Türkei, und trotz der durch den EU-Beitrittsprozess eingeleiteten Reformen gibt es tief verwurzelte Konfliktlinien, insbesondere zwischen der säkularen Elite und traditionelleren Bevölkerungsteilen.
Es bleibt abzuwarten, ob die Mobilisierung der Bevölkerung durch die CHP an Dynamik gewinnen kann und wie die türkische Regierung auf die anhaltenden Proteste reagieren wird. Insbesondere die Frage, wie die EU und die internationale Gemeinschaft auf diese Entwicklungen reagieren, könnte weitere Impulse für die politische Landschaft in der Türkei geben.
Unser Mitteleuropa berichtet über die Festnahmen und die darauf folgenden Proteste, während SRF die Reaktionen und die Situation in den sozialen Netzwerken näher beleuchtet. Der weitere politische Kontext und die vorangegangenen Reformprozesse in der Türkei werden in dem Artikel von bpb detailliert dargestellt.