PolitikViral

Debatte um Kinderkopftücher: Schulen und Frauenrechtler im Fokus

Kinderkopftuch: „Westlich gekleidete Mädchen gelten oft als ‚unrein‘ oder ‚haram‘“

Stand: 16.07.2024

In jüngster Zeit ist die Diskussion um das Tragen von Kinderkopftüchern an deutschen Schulen erneut entbrannt. Eine aktuelle Umfrage der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TDF) zeigt alarmierende Entwicklungen und wirft ein Schlaglicht auf die Situation vieler Mädchen. Diese Realität betrifft nicht nur die betroffenen Schülerinnen, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld und die Bildungseinrichtungen.

Inzidenztracker

Bei der Umfrage, die 2024 durchgeführt wurde, beteiligten sich 784 von 4500 angeschriebenen Schulen. Auch wenn diese Umfrage nicht repräsentativ ist, zeichnet sie doch ein deutliches Bild. Laut den Lehrkräften tragen bereits viele Mädchen unter 14 Jahren ein Kopftuch, häufig ab einem Alter von zehn oder elf Jahren. Die Motivation hinter dem Kopftuchtragen ist in vielen Fällen nicht freiwillig, so die Beobachtungen der befragten Lehrer.

Ein erschreckendes Detail der Studie ist die soziale Kontrolle, die in vielen muslimischen Gemeinschaften herrscht. Lehrer berichten von enormem Druck auf die jungen Mädchen, der oft von männlichen Familienmitgliedern ausgeübt wird. Diese würden die Mädchen regelrecht mit Anerkennung und Belohnungen ködern, um das Tragen des Kopftuchs zu fördern. Aussagen wie „Du bist eine besonders gute Tochter, wenn du ein Kopftuch trägst“ sind keine Seltenheit und erhöhen den Druck auf die Kinder beträchtlich.

Die Auswirkungen auf das schulische Leben und die persönliche Entwicklung der Mädchen sind gravierend. Über die Hälfte der Befragten gibt an, dass Mädchen, die ein Kopftuch tragen, nicht am Sportunterricht, Schwimmunterricht oder Klassenfahrten teilnehmen. 35 Prozent bleiben dem Sexualkundeunterricht fern. Diese Schulalltags-Einschränkungen beeinträchtigen nicht nur die Unterrichtsteilnahme, sondern auch die soziale und körperliche Entwicklung der Mädchen.

Terre des Femmes (TDF) fordert deshalb ein bundesweites Verbot von Kinderkopftüchern für Mädchen unter 14 Jahren. Die Geschäftsführerin von TDF, Christa Stolle, betont: „Das Kopftuch ist kein harmloses Stück Stoff, sondern steht für geschlechtsspezifische Diskriminierung.“ Zwei Rechtsgutachten bestätigen, dass ein solches Verbot verfassungskonform wäre, da die Gleichberechtigung und der Bildungsauftrag des Staates vorrangig seien. Nur Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg untersagen aktuell die Vollverschleierung.

Der gesellschaftliche Druck und die Folgen des Kopftuchtragens sind vielfältig. Eine Lehrkraft berichtet von einem neunjährigen Mädchen, das sich zunächst über das Kopftuch freute, später jedoch immer introvertierter und zwangserwachsener wirkte. Solche Entwicklungen verdeutlichen, wie stark das Kopftuch als Symbol der Abgrenzung wirkt. Westlich gekleidete Mädchen gelten oft als ‚unrein‘ oder ‚haram‘, was zu einer verstärkten sozialen Kontrolle und Isolation führt.

Die Umfrageergebnisse zeigen auch eine wachsende Besorgnis hinsichtlich der Tendenz, die Mädchen durch das Kopftuchtragen von Gleichaltrigen abzugrenzen. 73 Prozent der Befragten vermuten, dass das Kopftuch die persönliche Entwicklung der Mädchen negativ beeinflusst. Eine klare Regelung könnte den manipulativen Einflüssen der Familien entgegenwirken und den Mädchen eine selbstbestimmte Entscheidungsfindung im Alter von 14 Jahren ermöglichen.

Politische Maßnahmen zur Prävention

Wie könnte die Politik solche Entwicklungen in Zukunft verhindern? Eine bundesweite und einheitliche Regelung zum Verbot von Kinderkopftüchern könnte ein erster Schritt sein. Um dies zu erreichen, sollten politische Parteien das Thema ohne Angst vor Vorwürfen der Muslimfeindlichkeit offen diskutieren. Die aktuell bestehende Regelung in einzelnen Bundesländern zeigt, dass solche Maßnahmen möglich und auch umsetzbar sind.

Zudem sollten präventive Maßnahmen in Bildungseinrichtungen eingeführt werden. Schulsozialarbeiter und Pädagogen könnten besser geschult werden, um Anzeichen von sozialem Druck früh zu erkennen und betroffene Kinder gezielt zu unterstützen. Aufklärungsprogramme für Eltern, die die Bedeutung von persönlicher Freiheit und Gleichberechtigung betonen, könnten ebenfalls helfen, die Situation zu entschärfen und eine gleichberechtigte Entwicklung der Kinder zu fördern.

Langfristig wäre es wichtig, eine gesellschaftliche Debatte über traditionelle Rollenbilder und deren Auswirkungen fortzuführen. Ein Verbot des Kinderkopftuchs bis zur Religionsmündigkeit könnte der Anfang sein, doch umfassende gesellschaftliche und bildungspolitische Maßnahmen sind notwendig, um einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen.

Lebt in Stuttgart und ist seit vielen Jahren freier Redakteur für Tageszeitungen und Magazine im DACH-Raum.
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"