In Freiburg leben rund 37.710 Menschen ohne deutschen Pass, die bei der kommenden Bundestagswahl vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Dies entspricht fast jeder fünften Person in der Stadt. Die Initiative „Wahlkreis 100% e.V.“ setzt sich seit Jahren für das Anliegen „Wahlrecht für alle“ ein und kämpft damit für die politische Teilhabe von Nicht-EU-Bürgern in Deutschland. Betroffene wie die Norwegerin Line Kristoffersen, die seit 34 Jahren in Deutschland lebt, und Ahmad Sadi, ein gebürtiger Iraner mit neun Jahren Aufenthalt, fühlen sich von diesem Ausschluss stark benachteiligt. Kristoffersen strebt sogar eine doppelte Staatsbürgerschaft an, nachdem sie den Einbürgerungstest bestanden hat, um endlich wählen zu können.
Puk Norwood, ein in Deutschland geborener US-Amerikaner, sieht sich ebenfalls in seiner politischen Teilnahme eingeschränkt, da er keinen deutschen Pass besitzt. In Deutschland haben nur EU-Bürger das Recht, an Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, während Drittstaatsangehörige, die rund 8,2% der Bevölkerung ausmachen, stets von diesen Wahlen ausgeschlossen sind. Bundesweit sind es schätzungsweise 12,1 Millionen Menschen, die auf staatlicher Ebene kein Wahlrecht besitzen, was die Debatte um die politischen Rechte von Einwanderern weiter anheizt.
Forderungen nach größerer Teilhabe
Die Initiative plant symbolische Wahlen und Aktionen am Wahltag, um auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen. Ilaria De Altin, Sprecherin der Initiative, betont, dass das Wahlrecht an den Wohnort und nicht an die Staatsangehörigkeit gebunden sein sollte. Bei den bevorstehenden symbolischen Wahlen am 15., 22. und 23. Februar wollen sie ein Zeichen setzen und die Missstände aufzeigen.
Für eine bessere politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund sieht der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) dringenden Handlungsbedarf. In einem Jahresbericht wird aufgezeigt, dass 2019 etwa 12,6% der Erwachsenen in Deutschland keine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Die Ausschöpfung des Einbürgerungspotenzials lag damals nur bei 2,5%. Diese Zahlen illustrieren eindrucksvoll, dass viele Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in der politischen Mitbestimmung keine Stimme haben.
Erforderliche Reformen zur Förderung der Einbürgerung
Der SVR empfiehlt, bestehende Initiativen auszubauen, um das Einbürgerungspotenzial gezielter auszuschöpfen. Dazu werden Vorschläge zur Optimierung des Staatsangehörigkeitsrechts diskutiert, die etwa die Zulassung von Mehrstaatigkeit und eine beschleunigte Einbürgerung nach fünf Jahren Aufenthaltszeit umfassen. Auch die Einführung eines Doppelpasses für gut integrierte Zuwanderer wird in der Diskussion aufgegriffen.
Das bundesdeutsche System der politischen Partizipation steht unter Druck. Während viele europäischen Länder längst Wahlrechte für nicht-eingesessene Ausländer eingeführt haben, wird dieses Thema in Deutschland seit über 40 Jahren diskutiert. Historische Rückschläge, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990, welches das kommunale Wahlrecht für Ausländer abgelehnt hat, erschweren weitere Fortschritte. Die anhaltenden Bemühungen der Opposition zur Einführung eines solchen Rechts zeigen, dass es auch in Zukunft einen hohen Bedarf an Reformen geben wird.
Die vielfältigen Stimmen und Erfahrungen, die derzeit in Freiburg und darüber hinaus auf eine bessere politische Teilhabe drängen, verdeutlichen einen breiten Wunsch nach Veränderung. Es bleibt zu hoffen, dass diese Anliegen im politischen Diskurs stärker Gehör finden.