In Deutschland gibt es Überlegungen unter Verfassungsschützern, sich von der 2021 eingeführten Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zu verabschieden. Laut der FAZ dauern die Diskussionen an und es wurde noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Im Verfassungsschutzbericht 2024 soll die Kategorie weiterhin Verwendung finden. Diese wurde während der Corona-Pandemie als Auffangbecken für extremistische Akteure eingerichtet, die in keine andere bekannte Kategorie eingeordnet werden konnten.
Der Verfassungsschutzbericht 2023 schätzte das Personenpotenzial im Spektrum der Delegitimierer auf etwa 1.600 Personen, von denen rund 250 als gewaltbereit eingestuft werden. Akteure in diesem Bereich machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich und fordern dazu auf, behördliche oder gerichtliche Anordnungen zu ignorieren. Ein Beispiel hierfür ist die „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort Pforzheim“, die seit Mai 2023 als Beobachtungsobjekt verfolgt wird, insbesondere wegen der Abwertung von Homosexualität und der Delegitimierung staatlichen Handelns.
Politische Reaktionen und Bedenken
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht keinen Bedarf für den neuen Phänomenbereich. Auch einige CDU-Innenminister unterstützen eine Änderung und argumentieren, dass viele Delegitimierer dem Rechtsextremismus oder den „Reichsbürgern“ zugeordnet werden könnten. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) berichtete zudem von einem Rückgang von Demonstrationen unter Delegitimierern, die nun zunehmend von Rechtsextremisten dominiert werden. Zieschang plädiert jedoch dafür, die Bezeichnung beizubehalten, um kleinere Gruppen zu benennen, die ein Misstrauen gegenüber dem Staat hegen.
Es gibt eine kritische Prüfung darüber, ob der Phänomenbereich noch gerechtfertigt ist. Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD üben Kritik an der neuen Kategorie, fürchten eine mögliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Bundesregierung argumentiert hingegen, dass der Phänomenbereich nicht an der Kritik am Regierungshandeln anknüpft, sondern sich ausdrücklich auf die Verunglimpfung der Institutionen der Demokratie konzentriert.
Verortung des Extremismus
Die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ bezeichnet extremistische Bestrebungen, die nicht klar dem Rechtsextremismus oder Linksextremismus zugeordnet werden können. Diese Kategorie wurde im April 2021 bundesweit in allen Verfassungsschutzbehörden eingeführt, ausgelöst durch die Proteste während der COVID-19-Pandemie. Merkmale sind unter anderem die systematische Verunglimpfung des Staates, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Grundordnung erschüttern kann. Kritiker warnen, dass diese Einstufung auch Regierungskritiker als Extremisten stempeln könnte, wobei der Verfassungsschutzpräsident betont, dass auch Meinungsäußerungen ohne strafrechtliche Relevanz verfassungsschutzrechtlich von Bedeutung sein können.
Angesichts dieser Entwicklungen betont das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dass Extremismus und Radikalisierung eine Bedrohung für die freiheitliche Demokratie darstellen. Eine gesamtgesellschaftliche Perspektive wird gefordert, und das BMBF fördert die Erforschung extremistischer Phänomene, um interdisziplinär mehr Wissen über Gewalt und Extremismus zu erlangen. Thematische Schwerpunkte dieser Forschung sind Antisemitismus, Rechtsextremismus, Rassismus und radikaler Islamismus in Deutschland und Europa, wie der BMBF betont.
Insgesamt zeichnet sich ein komplexes Bild der gesellschaftlichen Radikalisierung ab, das sowohl Maßnahmen zur Beobachtung als auch die Wahrung der Meinungsfreiheit in den Fokus stellt.