Ute Schulze, die Leiterin des Amtes für Archiv und Schriftgutverwaltung in Villingen-Schwenningen, machte im Jahr 2004 eine bemerkenswerte Entdeckung auf einem Dachboden. Geplant war die Räumung alter Rentenakten, die aus Brandschutzgründen entfernt werden sollten. Doch statt der erwarteten Akten fand Schulze Unterlagen der Hilfs- und Rehabilitationsverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA) sowie des Requisitionsamtes. Diese Dokumente beinhalteten eine Liste ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz, die im Januar 1945 in Villingen-Schwenningen Zuflucht gefunden hatten. Diese unter dem Titel „Zufallsfund“ zusammengefassten Unterlagen eröffnen neue Einblicke in die Nachkriegszeit.
Im Juni 1945 waren beispielsweise 21 polnische ehemalige Häftlinge im Beethovenhaus untergebracht. Sie hatten durch den Krieg alles verloren und benötigten dringend zivile Bekleidung. Der Leiter des Centre PDR vermerkte, dass die Häftlinge nur die Kleidung trugen, die sie am Leibe hatten, meist vom deutschen Reichsarbeitsdienst. Das Centre PDR, gemeinsam mit dem Militärgouverneur in Rottweil, ordnete an, dass die Bürger Gegenstände wie Wolldecken, Bekleidung und Möbel sammeln sollten, um diese den ehemaligen Auschwitz-Häftlingen und französischen Gefangenen zukommen zu lassen. Diese überraschenden Funde zeigen, dass auch Auschwitz-Überlebende temporär in Schwenningen Zuflucht suchten.
Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess
Der Kontext dieser Entdeckung ist eng verknüpft mit den Erinnerungen an den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess, der durch eine Anzeige gegen SS-Oberscharführer Wilhelm Boger im Frühjahr 1958 ins Leben gerufen wurde. Zunächst ermittelten die Staatsanwälte in Stuttgart, bevor die Zentrale Stelle in Ludwigsburg die Ermittlungen übernahm. Im Januar 1959 erhielt der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Dokumente, die gezielte Tötungen in Auschwitz belegten.
Bauer beantragte bei den zuständigen Behörden die Übertragung der Zuständigkeit für die Auschwitz-Verbrechen an das Frankfurter Landgericht. Der Prozess begann am 20. Dezember 1963 im Frankfurter Rathaus Römer gegen insgesamt 22 Angeklagte und dauerte bis August 1965. Während dieser Zeit konfrontierte die Nachkriegsgesellschaft Deutschlands die grausamen Verbrechen des Völkermords, unterstützt durch die Aussagen von 360 Personen, darunter 221 Überlebende des KZ Auschwitz und 88 ehemalige Mitglieder der SS und Polizei.
Urteile und Nachwirkungen
Die Urteile, die nach 183 Verhandlungstagen gefällt wurden, fielen jedoch vielerorts als milde empfunden. Sechs Angeklagte erhielten lebenslange Haftstrafen, zehn weitere Ermittelte erhielten kurze Haftstrafen wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord, während drei Beschuldigte aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen wurden. Dieser Prozess stellte einen wichtigen Schritt in der deutschen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit dar und trug dazu bei, das öffentliche Bewusstsein für die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu schärfen.
Der unerwartete Fund von Schulze auf dem Dachboden und die Prozesse in Frankfurt sind eng miteinander verwoben und illustrieren die Komplexität der Erinnerungskultur in Deutschland. Während die Opfer durch Dokumente wie die entdeckten Listen für die Nachwelt bewahrt werden, bleibt die Frage nach Gerechtigkeit und Aufarbeitung auch heute noch ein zentrales Thema in der Gesellschaft.