Die politische Debatte um die Neutralität der Zivilgesellschaft nimmt an Intensität zu. Vor kurzem stellte die Unionsfraktion sage und schreibe 551 Fragen zur politischen Ausrichtung und Neutralität linker Organisationen. Diese Anfrage sorgte für erhebliche Empörung unter verschiedenen politischen Akteuren und wurde von SPD-Politiker Lars Klingbeil als ein „Foulspiel der Union“ bezeichnet. Linke, SPD und Grüne empfinden die Fragen als unangemessenen Affront, was die Spannungen in der politischen Landschaft nochmals verstärkt.

Historiker Rolf Peter Sieferle hat in seinem Buch „Finis Germania“ den sogenannten „Mythos Auschwitz“ als ein moralisches Fundament für die deutsche Identität nach 1945 beschrieben. Er argumentiert, dass dieser Mythos die deutsche Gesellschaft dazu zwingt, politische Entscheidungen auf der Basis von historischer Schuld zu treffen. Die Integration der Werte der 68er-Bewegung, die Antifaschismus, globale Solidarität und eine Kritik an Nationalstaat und Kapitalismus umfasst, in den Mainstream wird als eine Reaktion auf die Unionsanfrage betrachtet.

Die Rolle des Antifaschismus

Antifaschismus wird in diesem Kontext als ein fast religiöses Prinzip hervorgehoben. Dieses Prinzip betrachtet jede positive deutsche Identität als potenziell faschistisch, was zu einem nationalen Selbstbewusstsein führt, das als Überbleibsel des Faschismus gedeutet wird. In diesem Klima könnte Antifaschismus zur absoluten Tugend erhoben werden, was laut einigen Stimmen zur Selbstaufgabe Deutschlands führen könnte. Migration, Multikulturalismus und die Abkehr von nationaler Souveränität werden als Symptome dieses Prozesses identifiziert.

In einem parallelen Kontext fand kürzlich eine Tagung in Erfurt statt, die von der Amadeu Antonio Stiftung organisiert wurde. Diese Veranstaltung mit dem Titel „Das Neutralitätsgebot als Herausforderung für die Demokratie“ regionierte die Diskussion um die finanziellen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen viele Vereine und Institutionen bei kritischen Äußerungen zu rechtsextremen Parteien stehen. Fast 90 Teilnehmer aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft diskutierten dort über den Umgang mit der zunehmenden rechtsextremen Bedrohung.

Das Neutralitätsgebot in der Debatte

Die AfD nutzt das Neutralitätsgebot, um Gleichbehandlung für nicht verbotene Parteien zu fordern. Ein Rechtsgutachten von Professor Friedhelm Hufen besagt, dass Demokratie wertebezogen ist und eine Verbindung zur Menschenwürde, Gleichheit und Grundrechten hat. Daher sind Demokratiearbeit und politische Bildung nicht neutral, sondern haben die Verpflichtung, Verfassungswerte zu schützen. Das Grundgesetz fordert Chancengleichheit für politische Parteien, wodurch parteiisches Handeln durch Staatsorgane ausgeschlossen wird.

Ein Beispiel aus diesen Diskussionen ist die drohende Sanktionierung des AfD-Landrates Robert Sesselmann durch das Thüringer Innenministerium. Das Gutachten stärkt die Position der Zivilgesellschaft, indem es feststellt, dass Initiativen nicht neutral sein müssen und das Recht haben, vor rechtsextremen Parteien zu warnen. In der Diskussion betonten Akteure die Verantwortung für die Grundwerte des Grundgesetzes und forderten klare Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten in sozialen Einrichtungen.

Die Tagung endete mit einer optimistischen Stimmung, allerdings blieben viele Fragen zur Verteidigung der Grundwerte gegen rechtsextreme Angriffe offen. Stephan Kramer, Präsident des Verfassungsschutzes Thüringen, warnte vor einem Versuch, unliebsame Kritik zum Schweigen zu bringen. Dabei wird deutlich, dass die Herausforderungen, die sich sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene manifestieren, die Zukunft der deutschen Zivilgesellschaft maßgeblich beeinflussen werden.

Für weitere Informationen zu diesen Themen verweisen wir auf die Berichterstattung von freilich-magazin, Spiegel und Amadeu Antonio Stiftung.