Zwei Jahre nach den verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei am 6. Februar 2023, die über 3000 Todesopfer forderten, ist der Wiederaufbau in vollem Gange. Die Regierungspartei AKP unter Präsident Erdogan preist diesen Prozess als die „größte Baustelle der Welt“, während Kritiker die Inklusivität und die Verantwortung der Regierung in Frage stellen. Laut der Katastrophenschutzbehörde AFAD sind bisher bereits 201.000 von 450.000 geplanten neuen Häusern fertiggestellt worden, doch der Fortschritt wirft einige Fragen auf.
Die Naturkatastrophe hatte mit einer Stärke von 7,7 im südtürkischen Kahramanmaras eine immense Zerstörung angerichtet; mehr als 5600 Gebäude stürzten in der Türkei ein, darunter auch ein Krankenhaus in Iskenderun. In Adiyaman, wo ein Drittel der Gebäude erheblich beschädigt wurde, wird der Wiederaufbau sowohl als dringend notwendig als auch problematisch angesehen. Die Große Moschee in Adiyaman ist eingestürzt, während die Rückkehr zur Normalität für viele Anwohner eine Herausforderung darstellt.
Kritik an der Wiederaufbaupolitik
Kritiker, darunter Yunus Emre Kacamaz, Vorsitzender der Architektenkammer in Kahramanmaras, üben scharfe Kritik am Wiederaufbauprozess. Sie bemängeln, dass die Rückkehr aus Notunterkünften in Wohnungen viel zu schnell erfolge, ohne dass grundlegende Prinzipien der Sicherheit und der jeweiligen Lebensumstände der Betroffenen berücksichtigt werden. Kacamaz musste selbst im Container wohnen, obwohl das Gebäude seiner Kammer unversehrt blieb, da es in einer „Reservezone“ lag, die für den Wiederaufbau vorgesehen war.
Mit dem neuen Gesetz der Regierung, das die Beschlagnahmung von Wohngebieten in gefährdeten Zonen erlaubt, gibt es Bedenken hinsichtlich der Gerechtigkeit und der Transparenz des Prozesses. In Hatay, einer Hochburg der Opposition, protestieren Zehntausende gegen den Mangel an Verantwortlichkeit und Transparenz, was die Gemüter zusätzlich erhitzt. Die Ängste der Menschen, dass ein neues Erdbeben jederzeit eintreten könnte, verstärken das Trauma der vergangenen Ereignisse.
Internationale Reaktionen und Unterstützung
Die internationale Gemeinschaft hat sich ebenfalls beteiligt, um den Betroffenen zu helfen. Hilfsorganisationen fordern Spenden von Decken, Heizgeräten und Winterkleidung, um die Menschen in den betroffenen Regionen zu unterstützen. Trotz geopolitischer Spannungen bot Griechenland, wie auch andere Länder, Hilfe an. Insgesamt haben die schweren Erdbeben nicht nur physische unvermeidbare Schäden verursacht, sondern auch das soziale und kulturelle Gefüge der Region beeinflusst.
Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt erforschen im Rahmen des Projektes „Build Back Better!“ die Lehren aus dem Wiederaufbau nach Naturkatastrophen und betonen die Bedeutung lokal ansässigen Wissens. Professor Nicolai Hannig, der das Projekt leitet, sieht die aktuelle Situation in der Türkei als Chance, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und den Wiederaufbau inklusiver zu gestalten. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts sollen prägende Einsichten für zukünftige Katastrophenmanagementstrategien liefern.
Der Trauma-Effekt einer solchen Katastrophe bleibt nicht nur bei den direkten Opfern sichtbar, sondern beeinflusst auch das kulturelle Gedächtnis der Region. Historiker, die die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen des Wiederaufbaus analysieren, sehen hierin eine Gelegenheit, Machtverhältnisse neu zu ordnen und eine zukunftsweisende Strategie für die betroffenen Gemeinschaften zu entwickeln.
Die aktuelle Lage nach den Erdbeben in der Türkei zeigt deutlich, wie komplex und vielschichtig der Wiederaufbau in Katastrophengebieten ist. Die Herausforderungen sind enorm und erfordern ein Zusammenspiel von politischer Verantwortung, Gesellschaft und Wissenschaft, um nicht nur Schäden zu reparieren, sondern auch um eine resiliente Zukunft zu gestalten.
Für detaillierte Informationen zu den gesamten Geschehnissen, lesen Sie die Berichte von Welt, upday und Hessenschau.