Heike Springhart, die Landesbischöfin der evangelischen Landeskirche in Baden, hat nach ihrem Solidaritätsbesuch in Israel und den palästinensischen Gebieten ihre Stimme für ein differenziertes Verständnis im Nahostkonflikt erhoben. Vom 29. Januar bis 2. Februar 2023 reiste sie, um das Leid beider Seiten zu erkennen. Springhart betonte, dass der Schmerz sowohl der Palästinenser als auch der Israelis nicht aufgerechnet werden könne, und dass die Lage vor Ort äußerst fragil sei. „Das zerreißt einen“, sagte sie über die Emotionen, die ihren Besuch begleiteten. Ihr Aufenthalt umfasste unter anderem eine Begegnung mit der Evangelisch-lutherischen Kirche in Jordanien und Gespräche mit Jugendlichen aus dem Westjordanland, die über ihre Einschränkungen berichteten und dass sie oft nicht zur Schule gehen oder ihre Verwandten besuchen können. Laut FAZ gibt es im Westjordanland über 1.000 Checkpoints, die das tägliche Leben der Menschen stark erschweren.

Im Verlauf ihrer Reise besuchte Springhart auch die Stätte des Nova-Musikfestivals, an dem nahezu 400 Menschen bei einem Überfall der Hamas ihr Leben verloren. Die Berichte der Schülerinnen und Schüler, die mit der Realität der Besatzung leben, hinterließen bei ihr einen bleibenden Eindruck von Verzweiflung und Wut. „Direkter Kontakt zwischen palästinensischen und israelischen Jugendlichen ist selten“, stellte sie fest. Die Bischöfin appelierte an die internationale Gemeinschaft, Hilfsorganisationen zu unterstützen, die Menschen vor Ort mit Lebensmitteln versorgen und sich für den Frieden einsetzen.

Doppelte Solidarität

Im Kontext des aktuellen Israel-Hamas-Kriegs fordert Springhart eine „doppelte Solidarität“ von evangelischen Christen mit den Menschen in Israel und Palästina. In ihren Aussagen hebt sie die Notwendigkeit hervor, sowohl die Unterstützung für die jüdische Gemeinschaft als auch die humanitäre Lage im Gazastreifen zu berücksichtigen. „Der Angriff der Hamas auf Israel ist durch nichts zu rechtfertigen“, betont sie. Zugleich kritisiert sie die extreme Polarisierung in der Gesellschaft sowie die mangelnde Differenzierung im Nahost-Konflikt seit Beginn der Kämpfe. Und obwohl der Krieg die Friedensbemühungen behindert, bleibt sie optimistisch hinsichtlich zukünftiger friedlicher Lösungen.

Springhart thematisiert außerdem den interreligiösen Dialog, der in der aktuellen Situation unter Druck steht. Der Krieg in Gaza hat auch Auswirkungen auf den interreligiösen Dialog in der Schweiz, wie Christoph Knoch von der interreligiösen Arbeitsgemeinschaft Iras Cotis berichtet. Emotionale Spannungen zwischen jüdischen und muslimischen Gemeinschaften sind gestiegen, und es gab sogar Drohungen von jüdischen Vorstandsmitgliedern, aus der Organisation auszutreten, da sie eine Verbindung der muslimischen Präsidentin zu pro-palästinensischen Organisationen als problematisch empfinden. Knoch, der seit 40 Jahren im interreligiösen Dialog tätig ist, erkennt die Notwendigkeit, heikle Themen anzusprechen, um das Vertrauen, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, nicht zu gefährden.

Stärkung des interreligiösen Dialogs

Der interreligiöse Dialog soll den religiösen Frieden fördern, jedoch erschwert die aktuelle Situation diese Bestrebungen. Bei Veranstaltungen wie der Woche der Religionen arbeiten Pfarrer, Imame, Rabbiner sowie Vertreter anderer Glaubensrichtungen zusammen. Dennoch wird kritisiert, dass der Dialog oft zu theoretisch und wenig greifbar ist. Konkrete Projekte im Bildungsbereich, wie der muslimische Religionsunterricht im Kanton Thurgau, bieten positive Beispiele für die Zusammenarbeit.

Springhart hebt zudem hervor, dass der Konflikt kein religiöser sei und dass Kritik an der israelischen Regierung nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden dürfe. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage weiterentwickeln wird, doch die Notwendigkeit einer differenzierten Sichtweise bleibt in dieser emotional aufgeladenen Debatte entscheidend.