Der neue Film „Das Mädchen mit der Nadel“ von Magnus von Horn feierte seine Weltpremiere am 15. Mai 2024 beim 77. Filmfestival von Cannes und läuft heute, am 9. Januar 2025, auch in deutschen Kinos an. Dieser historiendramatische Film mit dem Originaltitel „Pigen med nålen“ erzählt die berührende und tragische Geschichte einer Fabrikarbeiterin im Kopenhagen des Jahres 1918, die sich den Herausforderungen und sozialen Ungerechtigkeiten ihrer Zeit stellen muss.
Die Handlung dreht sich um die Hauptfigur Karoline Nielsen, gespielt von Vic Carmen Sonne, die in einer Produktionsstätte für Uniformen arbeitet. Da der Erste Weltkrieg zwar noch andauert, aber sein Ende absehbar ist, müssen sich die Frauen in der Fabrik mit prekären Lebensverhältnissen auseinandersetzen. Neben der Arbeit geben die Frauen ihre Würde und Hoffnungen auf, wie eine eindringliche Szene zeigt, in der die Belegschaft nach Feierabend die Fabrik verlässt – eine Hommage an die Arbeiten der Brüder Lumière, die ähnliche Szenen filmisch festhielten.
Die ständige Notwendigkeit des Überlebens
Karoline bittet um Unterstützung für Witwen, da das Schicksal ihres Mannes im Krieg ungewiss bleibt. Ihre eigene Situation verschärft sich, als sie mit Mietrückständen konfrontiert wird und aus ihrer Wohnung geworfen wird. Diese für Frauen im frühen 20. Jahrhundert typischen sozialen Nöte sind zentrale Themen des Films. Ihre Ohnmacht wird besonders dramatisch, als sie vom Fabrikanten verführt wird und selbst schwanger wird, was ihrer ohnehin angespannte Lage noch mehr zusetzt.
Der Film zeigt eindrucksvoll, wie Frauen in dieser Zeit unter dem drückenden Gewicht patriarchaler Strukturen und gesellschaftlicher Erwartungen leiden mussten. In der Beziehung zu Dagmar, die in Wahrheit eine Engelmacherin betreibt und Karoline anbietet, nach der Geburt ihr Kind gegen Geld abzunehmen, wird die Vorstufe zu einer raffinierten, aber auch dunklen Form von Freundschaft und Zweckbündnis deutlich. Dagmars Geschäft soll armen Müttern helfen, Pflegefamilien zu finden, doch die Tragik ihrer Handlung führt Karoline in einen moralischen Zwiespalt.
Soziale Themen und künstlerische Umsetzung
„Das Mädchen mit der Nadel“ ist nicht nur ein Film über persönliche Schicksale, sondern beleuchtet auch die gesellschaftlichen Missstände und die begrenzten Möglichkeiten, die Frauen in dieser Ära zur Verfügung standen. Magnus von Horn nutzt eine aufregende Ästhetik, die groteske Elemente und bedrohliche Schatten umfasst, um die sozialen Verhältnisse zu verdeutlichen. Die Beziehung zwischen Karoline und Dagmar wird dabei zu einer faszinierenden Mischung aus Freundschaft, Zweckbündnis und latenter Liebe.
Die Tragik in Karolines Leben wird zudem verstärkt durch die Rückkehr ihres Mannes Peter Nielsen, der entstellt aus dem Krieg zurückkehrt. Diese Rückkehr macht die Dramatik ihrer Lebenssituation noch offenkundiger: Die Frauenfigur wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Identität und Würde in einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft bewahren kann.
Der Film, der auch auf das Leben der dänischen Serienmörderin Dagmar Overby, die zwischen 1887 und 1929 aktiv war, basiert, ist nicht nur ein Beispiel für die filmische Auseinandersetzung mit historischen Frauenfiguren, sondern ist auch ein künstlerischer Beitrag zur Diskussion um Geschlechterrollen. Kritische Betrachtungen der Rolle der Frauen in der Gesellschaft wurden schon seit der Renaissance angestoßen, wie in der anthropologischen Diskussion über Geschlechterfragen in der neueren Geschichte deutlich wird. Die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts forderte Gleichberechtigung, doch die tiefere Wandlung der Geschlechterbeziehungen bleibt bis heute eine Herausforderung.
„Das Mädchen mit der Nadel“ ist daher nicht nur ein bemerkenswerter Film über eine bewegte Zeit, sondern auch ein Spiegel für aktuelle gesellschaftliche Debatten. Neben einer Einladung in den Wettbewerb um die Goldene Palme beim Filmfestival von Cannes wurde der Film 2025 auch für den Golden Globe Award als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert und auf die Oscar-Shortlist für den besten internationalen Film gesetzt.
FAZ berichtet, dass …
Wikipedia informiert über den Film …
bpb thematisiert Frauenbilder in der Geschichte …