In Frankreich beginnt heute ein richtungsweisender Prozess gegen einen 74-jährigen Chirurgen, der in einer erschütternden Angelegenheit des Kindesmissbrauchs vor Gericht steht. Dieser Prozess gilt als der größte seiner Art in der Geschichte Frankreichs, da der Angeklagte beschuldigt wird, in der Zeit von 1989 bis 2014 insgesamt 299 meist minderjährige Patienten missbraucht zu haben. Der Großteil des Missbrauchs soll während Narkosen erfolgt sein, was die Taten besonders abscheulich macht. Das durchschnittliche Alter der Opfer betrug nur 11 Jahre, wobei 111 Fälle als schwere Vergewaltigung eingestuft werden.
Die Staatsanwaltschaft hat außerdem hervorgehoben, dass viele der jungen Opfer während des Missbrauchs bewusstlos waren. Der Angeklagte hat bereits zahlreiche Vorwürfe gestanden. Bei seinen Ermittlungen stieß die Polizei auf ein genau geführtes Tagebuch des Arztes, in dem er identifizierbare Informationen zu seinen Taten festgehalten hatte. Zudem fanden die Ermittler rund 300.000 kinderpornografische Bilder und Puppen in seinem Besitz. Bereits im Jahr 2020 war der Arzt wegen vier Missbrauchsfällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, und 2005 hatte er eine Bewährungsstrafe wegen des Besitzes kinderpornografischer Bilder erhalten.
Ein Prozess von historischer Dimension
Der Prozess findet in Vannes statt und soll bis Juni andauern. Für die Durchführung wurden spezielle Räumlichkeiten eingerichtet, um den Opfern und deren Anwälten ausreichend Platz zu bieten. Insgesamt haben sich 265 Journalisten für die Berichterstattung angemeldet, was die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen besonders aufsehenerregenden Fall lenkt.
Die Ermittlungen gegen den Chirurgen wurden 2017 eingeleitet, nachdem eine Nachbarin des Gebürtigen die Polizei informierte. Interessant ist, dass bei rund 100 befragten Kollegen des Arztes kein konkreter Verdacht auf abweichendes Verhalten geäußert wurde. Auch seine ehemalige Frau erfuhr erst mit seiner Festnahme von den schrecklichen Taten, die während seiner beruflichen Laufbahn stattfanden.
Kontextualisierung des Missbrauchs
Die erschreckenden Fälle sexuellen Missbrauchs, wie sie in diesem Verfahren zur Sprache kommen, sind Teil eines größeren Problems. In Deutschland etwa sind genaue Zahlen zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgrund der unzureichenden Datenlage schwierig zu erfassen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2022 15.520 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt. Die Statistiken zeigen zudem einen alarmierenden Anstieg von 21.868 Fällen in 2020 auf 48.821 Fälle in 2022, die die Verbreitung und den Besitz von Missbrauchsdarstellungen betreffen. Es ist zu beobachten, dass Anzeigefälle aufgrund einer erhöhten Bereitschaft zur Anzeige steigen.
Zusätzlich zeigt sich ein beunruhigendes Dunkelfeld, da viele Taten entweder nicht angezeigt oder nicht dokumentiert werden. Eine umfassende nationale Prävalenzforschung zur Häufigkeit sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen steht in Deutschland noch aus. Verlässliche Schätzungen zur tatsächlichen Anzahl dieser Taten erfordern daher umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen.
Die aktuellen Entwicklungen rund um den Prozess in Frankreich werfen einen bezeichnenden Lichtstrahl auf die Herausforderungen, die in der Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch bestehen. Während der Fall des Chirurgen für Entsetzen sorgt, bleibt zu hoffen, dass er auch als Weckruf für dringend benötigte Veränderungen im Rechtssystem und in den Institutionen fungiert.
Weitere Details finden Sie in den Berichten von bnn und Spiegel. Umfangreiche Zahlen zu sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland sind auf der Seite der Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs nachzulesen.