Eine internationale Kommission hat heute in London einen umfassenden Vorschlag zur Überarbeitung der Adipositas-Diagnose vorgestellt. Unter der Leitung von Professor Francesco Rubino vom King’s College London wird die neue Klassifikation der Fettleibigkeit weitreichende Veränderungen einläuten. Die Ergebnisse der Kommission, an der auch Forscher der TU Dresden am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) beteiligt waren, wurden in einem Artikel in ‚The Lancet Diabetes & Endocrinology‘ veröffentlicht. Die Kommission besteht aus 56 Experten aus verschiedenen medizinischen Bereichen und wird von der World Obesity Federation unterstützt.
Der herkömmliche Ansatz, der sich stark auf den Body-Mass-Index (BMI) stützt, wird durch einen umfassenderen Ansatz ersetzt, der auch den Anteil und die Verteilung von Körperfett sowie das Vorhandensein von Organschäden berücksichtigt. Dieses neue Konzept erkennt an, dass der BMI allein oft nicht ausreichend ist, um die Gesundheit oder Krankheit individuell zu beurteilen, was häufig zu Fehldiagnosen führt. Neben dem BMI sollen künftig auch Taillenumfang und direkte Fettmessungen herangezogen werden.
Klinische vs. präklinische Adipositas
Eine der zentralen Empfehlungen der Kommission ist die Unterscheidung zwischen zwei neuen diagnostischen Kategorien: „klinische Adipositas“ und „präklinische Adipositas“. Während die klinische Adipositas als chronische Krankheit mit Organfunktionsstörungen definiert wird, kennzeichnet die präklinische Adipositas ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, ohne dass sofort eine Therapie erforderlich ist. Diese Unterscheidung könnte langfristig dazu führen, dass mehr Menschen Zugang zu geeigneten Behandlungen erhalten, die bisher unterversorgt waren.
Die Kommission hat auch spezifische diagnostische Kriterien für Kinder und Jugendliche entwickelt, um das wachsende Problem der Adipositas in dieser Altersgruppe zu adressieren. Professor Louise Baur betont, dass Adipositas als systemische chronische Krankheit betrachtet werden sollte, um geeignete gesundheitliche Interventionen zu fördern.
Finanzielle Folgen von Adipositas
Das Thema der Adipositas ist nicht nur gesundheits-, sondern auch kostenpolitisch relevant. Studien haben gezeigt, dass Übergewicht und Adipositas erhebliche Belastungen für die Gesundheitssysteme darstellen. In Deutschland wird geschätzt, dass die Kosten für das Gesundheitssystem durch Übergewicht bis 2035 auf Milliarden US-Dollar steigen könnten. Diese finanziellen Aspekte werden in einer Veröffentlichung der World Obesity Federation behandelt, die die Entwicklungen bis 2020 und darüber hinaus betrachtet.
Die neuen diagnostischen Kriterien sollen nicht nur die individuelle gesundheitliche Versorgung verbessern, sondern könnten auch langfristig zu einer Senkung der Behandlungskosten führen. Zwar wird hierbei ein höherer initialer Aufwand durch zusätzliche Messungen erwartet, doch der potenzielle Gewinn für die öffentliche Gesundheit könnte erheblich sein. Kritiker warnen allerdings davor, dass weniger übergewichtige Personen möglicherweise fälschlicherweise als adipös diagnostiziert werden könnten, was einen weiteren Diskussionspunkt in der Implementierung der neuen Richtlinien darstellt.
Zusammenfassend stellt die internationale Kommission einen Wendepunkt in der Diagnose von Adipositas dar, der auch die gesellschaftliche Wahrnehmung und Behandlung dieser Erkrankung beeinflussen könnte. Die neue Klassifikation, die heute diskutiert wurde, bietet nicht nur einen evidenzbasierten Rahmen, sondern fördert auch eine personalisierte Gesundheitsberatung, die frei von Stigmatisierung ist.
Mehr Informationen sind in den Artikeln zu finden: TU Dresden, Medical Tribune, und Statista.