EuskirchenKriminalität und Justiz

Einblicke in den Weißen Ring: Ehrenamtliche Helfer unterstützen Opfer von Kriminalität und Missbrauch

Im obersten Regal der Vitrine eines Kirchheimer Wohnzimmers stehen Hochzeitskerzen. An der Wand hängen Fotos lachender Kinder und glücklicher Familien, von einem tauchenden Baby und einem stolzen Karnevalsprinzenpaar. Eine Ehefrau hat Knabbereien vorbereitet und verabschiedet sich liebevoll. Dann wenden sich die sieben ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Weißen Rings der Besprechung des ersten Falls des Abends zu: Es geht um den Missbrauch einer Minderjährigen.

Yasmin Fuhl ist 29 Jahre alt und erst seit einem Jahr aktives Mitglied beim Weißen Ring. Sie trägt einen tiefschwarzen Lidstrich und redet schnell. Vor ein paar Tagen noch hat sie im Wohnzimmer eines jungen Mädchens gesessen, das monatelang von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde. „Als ich da ankam, war das Mädchen überhaupt nicht sprechfähig. Sie war kurz vor dem Zusammenklappen. Also habe ich mit der Mutter gesprochen“, berichtet die 29-Jährige ihren Kollegen.

Sie hören aufmerksam zu, unterbrechen Fuhl nie. Auf dem runden Tisch stehen Softdrinks und Knabbereien. Der Stiefvater des Mädchens war vorbestraft. „Und zwar, weil er den gleichen Scheiß auch mit der älteren Tochter angestellt hat.“ In den Gesichtern der Kollegen bewegt sich nichts.

Fuhl redet sich in Rage: „Und was haben Sie in der Zeit gemacht?“, habe sie die Mutter gefragt. Die habe ihr geantwortet, dass sie zwischen den Stühlen gesessen und diesen Mann doch geliebt habe. Und die Vermutung gehabt habe, dass die älteste Tochter „ein bisschen in ihn verliebt“ gewesen sei. Ein paar Mal war das Jugendamt im Haus wegen der vermeintlich verliebten Tochter.

Mit 18 Jahren sei sie dann ausgezogen und habe jeglichen Kontakt zu der Familie abgebrochen. Als die jüngere Tochter ihrer Mutter Ähnliches berichtete, habe diese erneut weggeschaut – „einfach nur weggeschaut“, wiederholt Fuhl. Weil die Mutter den Mann nicht verlieren wollte, weil sie nicht allein sein wollte. „Als ich mit der Mutter sprach, hat sie angefangen zu weinen“, sagt Fuhl. Aber nicht wegen der Tochter, sondern weil sie sich selbst so leidtat. Inzwischen hat ein Gericht dem übergriffigen Mann den Umgang mit seiner Familie untersagt.

„So laufen Termine meistens ab“, erzählt Fuhl. „Ich komme irgendwohin und werde sehr gastfreundlich empfangen. Oft gibt es sogar Kaffee und Kuchen. Und dann reden wir über sehr, sehr unschöne Dinge.“ Nach dem Termin ist Fuhl zum Shoppen nach Köln gefahren. Aber nicht, weil sie irgendetwas brauchte. „Ich glaube, dabei ging es um Psychohygiene.“ Gekauft hat sie dort ein Geschenk für ihre Mutter. „Um mich bei ihr dafür zu bedanken, wie gut ich es bei ihr gehabt habe“, sagt Yasmin Fuhl.

Friedrich Ohst nickt. Früher, vor Renteneintritt, war der Außenstellenleiter des Weißen Rings Berufssoldat. Er trägt einen üppigen Schnäuzer. Hemd und Anzug sitzen ordentlich. Überhaupt ist Ohst ein kontrollierter Mann. Nur wenn jemand einen Witz macht, vergisst er sich für ein paar Sekunden. Dann lacht er schallend, schüttelt sich und fasst sich an die Nase. Seine Kollegen und Kolleginnen nennen ihn „Fritz“.

„Fritz“ sagt, dass es diese Tage ab und zu gebe. Tage, an denen man kaum aushalte, was man da hört. Dann spricht er über eine gut situierte Familie, die in einem schönen Umfeld lebte. Und über den Missbrauch eines einjährigen Säuglings, der sich in diesem Umfeld ereignete. „Als ich nach Hause kam, setzte ich mich in die Ecke und griff zur Cognac-Flasche“, sagt er. Er müsse dann erst mal Abstand kriegen. Und dann, irgendwann, folge immer der Gedanke: „Mensch, der liebe Gott muss es wirklich gut mit mir und meiner Familie gemeint haben.“

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Mit einem Portfolio, das mehr als zwei Jahrzehnte Berufserfahrung umfasst, ist der freie Redakteur und Journalist Konrad l. Schneider ein fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft.
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