Belgien hat überraschend Pläne bekannt gegeben, den beschlossenen Atomausstieg zu kippen und den Ausbau der Atomkraft voranzutreiben. Die neue Regierung unter Premierminister Bart De Wever erklärt, dass das seit 2003 geltende Ausstiegsgesetz als „überholt“ betrachtet wird. Statt alle Atomkraftwerke bis Ende 2025 abzuschalten, sollen die bestehenden Reaktoren mit einer Gesamtleistung von vier Gigawatt länger in Betrieb bleiben. De Wever und Energieminister Mathieu Bihet haben angekündigt, die Laufzeiten der Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 bis mindestens Ende 2035 zu verlängern. Das Ziel ist es, die Gesamtleistung auf acht Gigawatt zu erhöhen und die Kapazität langfristig zu sichern.
Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund der anhaltenden Energiekrise und der geopolitischen Situation, insbesondere des Ukraine-Kriegs, zu sehen. Regierungschef Alexander De Croo hatte bereits die Notwendigkeit betont, die Stromversorgung des Landes zu sichern. Belgien wird voraussichtlich eine Einigung mit dem Energiekonzern Engie anstreben, um die Laufzeitverlängerung und die erforderlichen Modernisierungen finanziell zu bewältigen. Beide, der belgische Staat und Engie, haben sich geeinigt, sich zur Hälfte an den Kosten der Verlängerung der Atomkraftwerke zu beteiligen.
Gesetzesänderungen und Sicherheit
Die Änderungen des Atomausstiegsgesetzes sollen „sehr schnell“ umgesetzt werden. Minister Bihet kündigte an, dass zwei Artikel aus dem 2003 beschlossenen Gesetz gestrichen werden. Die Regierung sieht in der Atomkraft eine kohlenstoffarme Energiequelle, was angesichts der EU-weiten Bestrebungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen von wachsender Bedeutung ist. In anderen europäischen Ländern, darunter Frankreich, Schweden und Italien, sind ebenfalls neue Atomkraftwerke in der Planung.
Dennoch bleibt das Thema umstritten. Kritiker warnen vor Sicherheitsrisiken, insbesondere in Anbetracht der Mängel, die in der Vergangenheit bei belgischen Reaktoren festgestellt wurden, darunter die maroden Betonteile. Auch die Stadt Aachen und die Bundesregierung fordern die Stilllegung der belgischen Kernkraftwerke, was die Debatten um den Atomausstieg weiter anheizt. Die flämische Energieministerin betont zwar die Bedeutung der Sicherheit, sieht jedoch pragmatische Lösungen als notwendig an.
Der Weg vorwärts
Die geplanten Arbeiten zur Verlängerung der Laufzeiten sollen unmittelbar beginnen, nachdem die notwendigen Genehmigungen eingeholt wurden. Tihange 3 und Doel 4 sollen nach den Aktualisierungen im Winter 2026 wieder ans Netz gehen. Ursprünglich sollte Tihange 3 bereits im Oktober 2022 aufgrund eines Druckabfalls vom Stromnetz genommen werden, was die Bedenken um die Sicherheit der von den 1970er und 80er Jahren stammenden Reaktoren verstärkt hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die neue belgische Regierung einen bedeutenden Kurswechsel in der Energiepolitik vollzieht. Während der Atomausstieg auf der politischen Agenda ganz oben stand, wird Atomkraft nun als eine Schlüsselkomponente gesehen, um die Energieversorgung des Landes in einem sich wandelnden geopolitischen Umfeld zu sichern. Belgien bildet damit in dieser Debatte ein interessantes Spannungsfeld innerhalb der EU, in dem die Meinungen über die Zukunft der Atomkraft weiterhin stark divergieren.