Am 9. Januar 2025 hat die armenische Regierung ein Gesetzesprojekt zum Beginn eines EU-Beitrittsprozesses ins Parlament eingebracht. Premierminister Nikol Paschinjan betonte, dass die Annahme des Gesetzes keineswegs automatisch einen EU-Beitritt zur Folge habe. Ein solcher Schritt müsste durch ein Referendum entschieden werden.

Die politischen Entwicklungen in Armenien sind stark von den Veränderungen in den Beziehungen zu Russland beeinflusst. Seit Paschinjans Regierungsantritt haben sich diese Beziehungen abgekühlt, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Konflikte um Bergkarabach. Die traditionell als Schutzmacht Armeniens fungierende russische Regierung blieb in den letzten Konflikten passiv, was zu einer gesteigerten Unzufriedenheit unter den Armeniern führte.

Die Auswirkungen der Bergkarabach-Krise

Im Herbst 2023 flohen über 100.000 ethnische Armenier aus Bergkarabach, nachdem aserbaidschanische Truppen erhöhten Druck ausübten. Russische Truppen, die vor Ort stationiert waren, waren zu diesem Zeitpunkt mit der Besetzung ukrainischer Gebiete beschäftigt und konnten somit nicht eingreifen. Diese Unzulänglichkeiten führten dazu, dass viele Armenier sich von Russland verraten fühlten und das Land nach neuen Partnern in der EU und den USA suchte. Ein Beispiel dafür ist der Abzug russischer Grenzschützer am internationalen Flughafen von Jerewan, der am 15. August 2024 stattfand, nach fast 32 Jahren Präsenz.

Russland reagierte auf die Entwicklungen in Armenien mit Bedauern, hat jedoch bislang keine konkreten Maßnahmen ergriffen. Kremlsprecher Dmitri Peskow hat zudem deutlich gemacht, dass ein EU-Beitritt Armeniens unvereinbar mit seiner Mitgliedschaft in der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) sei.

Implikationen für die nationale Sicherheit

Armenien hat sich von der OVKS, dem Militärbündnis der ehemaligen Sowjetstaaten, distanziert. Paschinjan kündigte an, dass Armenien die Mitgliedschaft in der OVKS einfrieren werde und sich nicht mehr an Militärübungen beteiligt. Stattdessen wird eine EU-Beobachtermission in Betracht gezogen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die OVKS nicht in den Konflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan intervenierte. Während des Konflikts um Bergkarabach wurden Waffenstillstandsverletzungen und militärische Aggressionen seitens Aserbaidschan dokumentiert, was zu weiteren Spannungen in der Region führte.

In der Sicherheitspolitik orientiert sich Armenien zunehmend neu und bezieht militärische Unterstützung von Ländern wie Frankreich, Indien und Tschechien. Zudem erhielt Armenien von der EU ein Resilienz- und Wachstumspaket über 270 Millionen Euro, um die Streitkräfte zu stärken und Reformen in der Sicherheitspolitik voranzutreiben.

Die Rolle der EU und der internationalen Gemeinschaft

Die EU betrachtet Armenien als einen Partner, dessen Sicherheit in der Region gewahrt werden muss. Ein im Jahr 2021 in Kraft getretenes Abkommen über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft zwischen der EU und Armenien bildet den Rahmen für diese Zusammenarbeit. Die EU unterstützt zudem Reformen zur Stärkung der Demokratie sowie der Rechtsstaatlichkeit in Armenien und fördert insbesondere die Rechte von Minderheiten, einschließlich der LGBTIQ-Personen.

Die aktuelle Situation und die geplanten Schritte zeichnen ein Bild von Armenien, das sich nicht nur von Russland entfremdet, sondern auch aktiv neue politische und militärische Allianzen eingeht. Der EU-Beitrittsprozess könnte ein entscheidender Schritt auf diesem Weg sein und bietet Armenien die Möglichkeit, seine geopolitische Position zu stärken.

Die Entwicklungen in Armenien sind somit nicht nur für das Land selbst von Bedeutung, sondern haben auch weitreichende Implikationen für die geopolitischen Verhältnisse in der Region und die Rolle der EU und der Vereinigten Staaten im Kaukasus.