Betroffene von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche haben erneut scharfe Kritik an der Reaktion des Erzbistums Hamburg geübt. Diese umfassenden Vorwürfe wurden vom Betroffenenrat Nord geäußert, der in einer Stellungnahme betont, dass die Kontakte zur Bistumsleitung oft konfrontativ und wenig wertschätzend seien. Während eines Treffens wurde deutlich, dass die proaktive Einbeziehung der Betroffenenperspektive in wichtige Entscheidungen bislang nicht wahrgenommen wird. Zudem wurde die Arbeit des Erzbistums bereits des Öfteren von den Betroffenen als ungenügend empfunden.
In einer kürzlich im Oktober präsentierten unabhängigen Studie kam ans Licht, dass Priester im Ruhestand trotz ernsthafter Missbrauchsvorwürfe weiterhin im Dienst stehen. Ein Sprecher des Bistums kündigte an, den Umgang mit den beschuldigten Priestern kritisch zu reflektieren. Allerdings sieht der Betroffenenrat eine Stagnation in den Maßnahmen und kritisiert, dass der Datenschutz oft wichtiger genommen wird als die Aufarbeitung der Vorfälle.
Kritik an den Maßnahmen des Erzbistums
Ein zentraler Punkt in der Kritik ist die Abwesenheit einer unabhängigen Erfahrungsschnittstelle wie einer Lotsen- oder Ombudsstelle im Erzbistum Hamburg. Im Vergleich dazu wird die positive Entwicklung im Bistum Osnabrück hervorgehoben. Hier hat Bischof Dominicus gesetzte Standards bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt erreicht, indem er aktiv das Gespräch mit dem Sprecherteam der Betroffenen sucht und umfassende Schutzprozesse implementiert hat.
Des Weiteren zeigt der Tätigkeitsbericht des Erzbistums Hamburg, der die Jahre 2011 bis 2022 abdeckt, dass insgesamt 272 Vorfälle gemeldet wurden, die sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutzbedürftigen Erwachsenen betreffen. Etwa 880.000 Euro wurden an Betroffene ausgezahlt, wobei allein 488.000 Euro als Anerkennung des erlittenen Leids von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen vergeben wurden. Generalvikar Sascha-Philipp Geißler betonte, dass eine Veröffentlichung der Namen von Missbrauchstätern aufgrund fehlender Rechtssicherheit derzeit nicht angestrebt wird.
Ausblick auf zukünftige Entwicklungen
Für die Zukunft plant das Erzbistum Hamburg, die Betroffenen stärker in die Erstellung des nächsten Berichts einzubeziehen, wie Katja Kottmann, die Leiterin des Referates Intervention, angekündigt hat. Zukünftige Studien zur Aufarbeitung von Missbrauch in Hamburg und Schleswig-Holstein stehen noch aus und die gewonnene Erkenntnisse der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Nord werden abgewartet. Im Bistum Hildesheim sind positive Entwicklungen zu verzeichnen: Ankündigungen für eine dritte Studie sowie die Schaffung von Lotsen- und Ombudsstellen beschleunigen die Aufarbeitung bis 2025.
Im Kontrast dazu wird hingegen kritisch auf die Entscheidung des Bistums Hildesheim geschaut, den Leichnam des 2021 verstorbenen Bischofs Heinrich Janssen in der Gruft des Doms zu belassen, nachdem nach seinem Tod Missbrauchsvorwürfe aufgetaucht sind. Das Bistum hat der Öffentlichkeit jedoch erklärt, dass die Gruft dauerhaft geschlossen wird und über die Vorwürfe informiert werden soll.
Während der Kampf gegen sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche fortschreitet, zeigt der Umgang der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Umdenken. Hier liegt der Fokus auf einer individuellen und umfassenden Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt. Eine gemeinsame Erklärung zwischen EKD und Diakonie Deutschland im Dezember 2023 legt verbindliche Kriterien für die Aufarbeitung fest und plant die Gründung unabhängiger regionaler Kommissionen zur Beteiligung der Betroffenen in diesem Prozess.
Die Bereitschaft zur kritischen Reflexion und die Fortentwicklung der Maßnahmen sind essenziell, um das Vertrauen der Betroffenen zurückzugewinnen und eine echte Aufarbeitung zu ermöglichen. Nur durch transparentes Handeln und die aktive Einbeziehung der Betroffenen kann eine grundlegende Veränderung in der Kirchenkultur erreicht werden.