Ein interdisziplinäres Forschungsteam, bestehend aus der Universität Osnabrück, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Freiburg sowie dem Museum und Park Kalkriese, hat neue Erkenntnisse zur Landschaftsgeschichte in Kalkriese gewonnen. Die Leitung des Projekts obliegt Prof. Dr. Joachim Härtling vom Institut für Geographie der Universität Osnabrück. Ziel der Untersuchungen ist es, die identitätsstiftenden Fragen rund um die legendäre „Varusschlacht“ zu klären, ob es sich um einen germanischen Hinterhalt oder ein römisches Lager handelt. Diese geowissenschaftlichen Forschungen wurden von 2017 bis 2019 in einem 170 Meter langen und 2,5 Meter breiten Transekt durchgeführt.

In dieser Zeit wurden Sedimente datiert und archäologische Befunde gesichert. Die Ergebnisse dieser umfassenden Studien wurden im Dezember 2024 in der Fachzeitschrift „Geoarchaeology“ veröffentlicht. Besonders auffällig ist die Tatsache, dass die Wälle in Kalkriese weder als germanischer Hinterhalt noch als römisches Lager bestätigt werden können. Stattdessen datieren die naturwissenschaftlichen Analysen die Wälle und Grabenfüllungen ins Hochmittelalter, um etwa 1000 n. Chr., was die historischen Narrative über diese Region neu interpretieren könnte.

Forschung zum Ort der Varusschlacht

Der archäologische Fundplatz Kalkriese-Niewedde wird häufig als der Ort der Varusschlacht identifiziert, in der die Germanen im Jahr 9 n. Chr. drei römische Legionen besiegten. Diese Identifizierung wird jedoch von verschiedenen Wissenschaftlern und Historikern diskutiert. Kritiker hegen Bedenken, dass Kalkriese möglicherweise eines der Schlachtfelder des römischen Feldherrn Germanicus ist, der 15 n. Chr. das Schlachtfeld besucht haben soll, um Varus’ gefallene Soldaten zu bestatten. Unklar bleibt, welche Schlacht genau in Kalkriese stattfand, ob es sich um die Niederlage des Statthalters Varus oder einen nachfolgenden Rachefeldzug von Germanicus handelte. Es bleibt festzuhalten, dass nicht alle Funde aus Kalkriese vollständig ausgewertet sind; sie wurden katalogisiert, aber noch nicht vollständig kulturhistorisch interpretiert.

Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts wird deshalb der kulturhistorische Kontext der archäologischen Funde näher untersucht. Wissenschaftler des Deutschen Bergbau-Museums, des Museums Kalkriese und der LMU München arbeiten hierbei mit verschiedenen Technologien und Methodiken. Ziel ist es, neue Erkenntnisse zur Frage „Varus oder Germanicus?“ zu gewinnen. Insbesondere ein Modul beschäftigt sich mit der kulturellen und historischen Aussagefähigkeit der Funde, wobei viele Artefakte fragmentiert sind, was ihre genaue Funktion obskur macht.

Der Arminius-Mythos und seine Wirkung

Der Mythos von Arminius, auch Hermann genannt, hat in der deutschen Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt. Er wird als Held und Symbol für Freiheit gefeiert, insbesondere in einer Zeit, in der Intellektuelle nach Identität und kulturellen Wurzeln suchten. So verfasste der Schriftsteller Daniel Caspar von Lohenstein zwischen 1689 und 1690 die literarische Bearbeitung „Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrman“, die die Tapferkeit der Deutschen lobte und sich explizit gegen die französische Eroberungspolitik wandte. Dieses Werk inspiriert bis heute die Darstellung des Arminius-Stoffes in verschiedenen kulturellen Kontexten.

Montequieu, ein bedeutender französischer Philosoph, bezog sich in seinen Schriften auf die germanischen Ursprünge und erkannte die Freiheiten der Germanen als Kontrast zu den monarchischen Strukturen seiner Zeit. Diese Mythen und Erzählungen trugen über die Jahrhunderte hinweg zur Formung einer nationalen Identität bei und fanden ihren Ausdruck in Tragödien, Opern und literarischen Arbeiten. Der Arminius-Mythos wurde daher nicht nur zum Symbol für militärische Errungenschaften, sondern auch für die Suche nach nationaler Identität und Freiheit in einem politisch zersplitterten Deutschland.

Die Forschung zur Varusschlacht und deren kultureller Kontextualisierung bleibt somit ein spannendes und dynamisches Feld, das sowohl archäologische als auch kulturelle Dimensionen umfasst, und es bleibt abzuwarten, welche neuen Erkenntnisse aus den laufenden Projekten hervorgehen werden.