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Nachbarschaftsstreitigkeiten in Kassel: Wenn Bäume zum Problem werden

In Kassel, Nordhessen, führen herüberwachsende Bäume und Hecken zwischen Nachbarn zu Streitigkeiten, die oft bis vor Gericht gehen, während lokale Schiedspersonen und das Umwelt- und Gartenamt versuchen, Konflikte durch persönliche Gespräche und Schiedsverfahren zu lösen.

Der Sommer in Kassel zeigt sich von seiner besten Seite – die Sonne scheint und die Regenfälle der letzten Zeit haben für ein üppiges Pflanzenwachstum gesorgt. Doch während viele Menschen die Schönheit der Natur genießen, gibt es auch Schattenseiten: Immer öfter kämpfen Nachbarn in der nordhessischen Stadt mit einander, wenn Bäume und Hecken aus den Nachbargärten ungebeten in ihr Grundstück hineinwachsen.

Das Phänomen ist nicht neu, doch die aktuelle Wetterlage hat dazu geführt, dass die Pflanzen in einem rasanten Tempo gedeihen. Besonders beliebt bei den Nachbarn sind die Sorgen um herüberwachsende Äste, Obst, das im Nachbargarten landet, und der Schatten, den diese Bäume werfen können. Die Frage, wer für den Baumabfall zuständig ist, sorgt oftmals für Streitigkeiten.

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Rechtliche Aspekte von Nachbarschaftsstreitigkeiten

Jürgen Eichel, ein Kasseler Anwalt, der sich auf Immobilien- und Nachbarrecht spezialisiert hat, berichtet, dass solche Fälle nicht selten vor Gericht landen. Obwohl es keinen festen Rahmen gibt, wie ein solcher Streit auszugehen hat, helfen zwei Hauptkonzepte: das Selbsthilferecht zur eigenen Entfernung und der Beseitigungsanspruch auf Seiten des Heckenbesitzers. Diese rechtlichen Grauzonen können schnell zu kostspieligen Auseinandersetzungen führen.

Eichel empfiehlt eine Rechtsschutzversicherung für Hausbesitzer, um sich vor den möglichen finanziellen Folgen eines Rechtsstreits zu schützen. Dabei scheint es jedoch einen Ausweg zu geben: Das örtliche Schiedsamt kann als neutrale Instanz eingeschaltet werden, um Streitigkeiten zwischen Nachbarn zu schlichten.

Werner Hahn, Schiedsperson im Stadtteil Jungfernkopf, schildert die Situation in seiner Nachbarschaft. Pro Jahr spricht er von zwei bis fünf Fällen von Nachbarschaftsstreitigkeiten, die auf hinüberwachsende Pflanzen zurückzuführen sind. Von diesen Konflikten können laut Hahn etwa die Hälfte im Schiedsverfahren beigelegt werden, die anderen müssen oft noch klärungsbedürftig bleiben.

Schiedsämter als Friedensstifter

Das Umwelt- und Gartenamt in Kassel hat klare Regelungen, welche Bäume besonders geschützt sind. Dies kann die Konflikte unter Nachbarn zusätzlich komplizieren. Solche Streitigkeiten sollten nach einem ersten gescheiterten persönlichen Gespräch an das Schiedsamt weitergeleitet werden. Gemäß den Vorschriften sollte eine Einigung in der Regel innerhalb weniger Gespräche erreicht werden, was einen schnellen Ausgang verspricht.

Die Erfahrungen von Heinz Peter Rudolph, einer weiteren Schiedsperson aus Niederzwehren, zeigen, dass unerledigte Fälle dennoch Monate in Anspruch nehmen können. „In der Regel sollten solche Konflikte innerhalb von einem Vierteljahr gelöst sein“, erklärt er. Doch oft verlaufen die Gespräche nicht so reibungslos und können sich länger hinziehen, da mehrere Gespräche notwendig sein können.

Rudolph berichtet auch, dass bislang kein Fall vor Gericht gezogen wurde, was eine positive Bilanz für das Schiedsverfahren in Kassel darstellt. Dennoch ist das Problem von hinüberwachsenden Bäumen kein Einzelfall. In der Vergangenheit gab es ähnliche Konflikte, wie beispielsweise jene mit mehreren Kiefern an der Hessenschanze, die ebenso für Spannungen unter Nachbarn sorgten.

Der Streit um Bäume und Hecken ist nicht nur ein Problem in Kassel, sondern spiegelt auch größere gesellschaftliche Trends wider. Während eine harmonische Nachbarschaft oft an erster Stelle stehen sollte, sind es gerade solche alltäglichen Konflikte, die zu Spannungen führen können. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Nachbarschaftsrechte in der Region entwickeln werden, und ob die Menschen einen Weg finden, ihre Differenzen im Sinne der Gemeinschaft zu lösen.

Die rechtlichen Grundlagen für Nachbarschaftsstreitigkeiten sind in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Insbesondere der § 903 BGB behandelt die grundlegenden Rechte des Grundstückseigentümers, während § 1004 BGB spezielle Ansprüche bei Beeinträchtigungen durch Nachbarn erläutert. Diese Vorschriften ermöglichen es Grundstückseigentümern, ihre Rechte in Bezug auf herüberwachsende Äste, Wurzeln und andere Pflanzen einzufordern und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Es ist daher unbequem, dass Nachbarn oft erst selbst anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um ihre Rechte durchzusetzen.

Der Schlichtungsprozess und seine Bedeutung

In Kassel gibt es einen etablierten Schlichtungsprozess, der es Nachbarn ermöglicht, Konflikte ohne gerichtliche Auseinandersetzung zu lösen. Das Schiedsamt spielt hierbei eine zentrale Rolle. Es stellt eine neutrale Instanz dar, die darauf abzielt, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Laut den Schiedsbeamten sind die Gespräche oft unkompliziert und können in wenigen Stunden gelöst werden. Ein Vergleich im Schiedsverfahren wird häufig von beiden Parteien akzeptiert, da er das Risiko langwieriger und kostspieliger Gerichtsverfahren vermeidet.

Diese alternativen Streitbeilegungsmethoden enthalten auch die Mediation, bei der ein neutraler Dritter die Kommunikation zwischen den Parteien moderiert. Diese Ansätze haben sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen, da sie nicht nur kostengünstiger sind, sondern auch dazu beitragen, die Nachbarschaftsbeziehungen zu erhalten. Laut [Schlichtungsstellen](https://www.schlichtungsstellen.org/) in verschiedenen Städten gibt es immer mehr Initiativen, Nachbarn zur Nutzung solcher Konfliktlösungsmethoden zu ermuntern, um Streitigkeiten entspannt zu klären.

Statistiken zu Nachbarschaftsstreits

Statistiken belegen, dass Nachbarschaftsstreite in Deutschland häufig vorkommen. Laut einer Studie des Deutschen Mieterbundes aus dem Jahr 2022 haben 34% der Mieter in Deutschland bereits Konflikte mit Nachbarn erlebt. Die häufigsten Anlasspunkte sind Lärmbelästigung, Geruchsbelästigung und eben auch Probleme mit Pflanzen und deren Auswüchsen. In Kassel wurde festgestellt, dass etwa die Hälfte der Nachbarschaftsstreite in Schlichtungsverfahren gelöst werden können, was zeigt, dass präventive Maßnahmen und frühe Interventionen entscheidend sind, um Eskalationen zu vermeiden. Die Daten unterstreichen die Notwendigkeit, solche Konfliktlösungsmöglichkeiten bekannt zu machen und deren Nutzung zu fördern.

Diese präventiven Ansätze sind besonders wichtig in städtischen Gebieten wie Kassel, wo der enge Lebensraum die Wahrscheinlichkeit von Konflikten erhöht. Kommunen könnten beispielsweise Informationsveranstaltungen anbieten, um Bürger über ihre Rechte und die verfügbaren Schlichtungsmöglichkeiten aufzuklären.

Lebt in Dresden und ist seit vielen Jahren freier Redakteur für Tageszeitungen und Magazine im DACH-Raum.
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