Silke Maier-Witt, einst Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF), hat im Alter von 75 Jahren in einem Interview in Hamburg ihr inneres Leben und die Beweggründe für ihren radicalen Werdegang offenbart. In ihrem aktuellen Lebensabschnitt lebt sie in Nordmazedonien und verfolgt gespannt die politischen Entwicklungen in Deutschland. Gleichzeitig äußert sie den Wunsch, sich aktiv für die Demokratie einzusetzen. Maier-Witt, die 1977 der RAF beitrat und 1979 von der Gruppe abkehrte, war zeitweise an der Entführung von Hanns Martin Schleyer beteiligt. Ihre Erfahrungen möchte sie in ihrem Buch „Ich dachte, bis dahin bin ich tot“ aufarbeiten und hinterfragen.
Ihr Werdegang wird durch ein komplexes Geflecht aus persönlichen Erlebnissen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. Maier-Witt schildert ihre gefühlskalte Kindheit und den Widerspruch zwischen ihren frühen politisch motivierten Engagements und der Gewalt, die sie später in der RAF erlebte. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang die gegenwärtige politische Situation in Deutschland und reflektiert über die Rolle sozialer Netzwerke. Anfängliche Ideale, die sie zur RAF führten, entpuppten sich als problematische Illusion, die sie letztendlich in eine tiefere Krise stürzten, als sie die brutale Realität ihrer Taten erkannte.
Erfahrungen in der RAF
Maier-Witt beschreibt die RAF als eine Art Familie, die ihr das Gefühl von Zugehörigkeit gab. Sie war aktiv an mehreren Taten beteiligt, ohne selbst zu schießen. Ihre Rolle in der Gruppe bietet Einblicke in radikalisierte Denkweisen und die psychologischen Mechanismen, die zu ihrem Beitritt führten. Der Einfluss der 68er-Bewegung, der Wut über die NS-Vergangenheit und unrest politische Themen wie die Notstandsgesetze und der Vietnamkrieg prägten ihre Jugend. Die gewaltsamen Umstände, die zu Schleyers Entführung führten, stellen für sie einen Wendepunkt dar, an dem sie die Widersprüche ihrer Ideale zu spüren bekam, als eine unbeteiligte Frau in Zürich ums Leben kam.
Maier-Witt selbst erlebte nach ihrem Austritt aus der RAF ein Leben im Untergrund in der DDR, wo sie mit Stasi-Hilfe lebte, und wurde schließlich 1991 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nach ihrer vorzeitigen Freilassung im Jahr 1995 arbeitete sie als Friedensfachkraft im ehemaligen Jugoslawien, wo sie weiter an den Themen Extremismus und Radikalisierung arbeitete.
Einblick in Radikalisierungsprozesse
Die Diskussion über Radikalisierung und Extremismus wird durch die Einsichten von Maier-Witt sowie weitere Forschungsergebnisse ergänzt. Studien zeigen, dass individuelle und psychosoziale Faktoren oft überbewertet werden, während gesellschaftliche Rahmenbedingungen vernachlässigt werden. Die Komplexität von Radikalisierungsprozessen erfordert eine differenzierte Betrachtung. Extremistische Einstellungen können verschiedene Formen annehmen, und die Verbindung zwischen radikalen Ideologien und tatsächlicher Gewalt ist nicht immer gegeben. Die Forschung spricht von über 100.000 extremistischen Personen in Deutschland, aber der Weg zu gewaltsamem Handeln ist vielfältig und komplex.
Maier-Witts Autobiographie verdeutlicht auch einen weiteren wichtigen Aspekt: die Notwendigkeit, den Mythos der RAF zu entzaubern und die gefährliche Verklärung vergangener Ideologien zu hinterfragen. Ihre persönliche Reise hin zu einer abweichenden Sichtweise auf ihre Vergangenheit zeigt auf, dass es Wege gibt, sich von extremistischen Ideologien zu lösen und zur Normalität zurückzukehren.
In einem reuevollen Gespräch mit dem Sohn von Hanns Martin Schleyer und einem eindringlichen Appell an den Gewaltverzicht thematisiert sie die Notwendigkeit von Verständnis und Dialog. In ihrem Werk möchte sie nicht nur ihre Biografie erzählen, sondern auch den subjektiven Blick auf Extremismus beleuchten und zur Prävention anregen. Maier-Witts Erfahrungen und ihre Reflektionen über die RAF bieten entscheidende Ansätze zur Bewältigung eines Phänomens, das auch heute noch in der Gesellschaft präsent ist.