Bernward Wittschier, ein 63-jähriger Mann, leidet seit über zehn Jahren unter Taubheitsgefühlen, die zunächst in den Fingern und Zehen begannen und sich mittlerweile auf das Gesicht sowie den Kopf- und Schulterbereich ausgeweitet haben. Diese Symptome beeinträchtigen nicht nur sein Sprechen und Schlucken, sondern auch seine Lebensqualität erheblich. Trotz einer umfangreichen medizinischen Odyssee durch zahlreiche Fachärzte, darunter Hausärzte, Gehirnspezialisten und Orthopäden, bleibt er ohne klare Diagnose oder adäquate Therapie. Seine Verzweiflung wächst, denn er hat immer noch Angst, dass sich seine Erkrankung weiter ausbreitet. Der Fall von Wittschier ist kein Einzelfall, sondern reflektiert die schwierige Realität, die zahlreiche Patienten mit seltenen Erkrankungen durchleben müssen. Laut ZVW kann die Diagnosefindung im Schnitt bis zu fünf Jahre dauern – in Extremfällen sogar bis zu 25 Jahre.
Am kommenden 28. Februar wird weltweit der Tag der seltenen Erkrankungen gefeiert, bei dem auf die Herausforderungen von etwa 30 Millionen Betroffenen in Europa und rund 4 Millionen in Deutschland aufmerksam gemacht wird. Dabei sind in Deutschland rund 8.000 seltene Erkrankungen bekannt, und die Zahl neuer Erkrankungen wächst stetig, häufig bedingt durch Fortschritte in genetischen Untersuchungen. Diese Fortschritte ermöglichen schnellere und genauere Diagnosen und bieten neue Therapieansätze, die für die Betroffenen von großer Bedeutung sind.
Die Rolle der Forschung und Unterstützung
In Deutschland existieren 36 spezialisierte Zentren für seltene Erkrankungen, die sich vernetzen und austauschen. Laut dem Zentrum in Homburg werden jährlich etwa 70 Anfragen bearbeitet, wobei in rund einem Drittel der Fälle eine Diagnose gestellt werden kann. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) leistet seit 2003 einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung seltener Erkrankungen, indem es über 144 Millionen Euro in nationale Forschungsverbünde investiert hat. Diese Forschungsinitiativen ermöglichen es, sieben die medizinische Versorgung zu verbessern und betroffenen Patienten gezielt zu helfen. Selbsthilfeorganisationen bieten zudem Unterstützung und geben den Betroffenen eine Stimme, um die Sichtbarkeit ihrer Alltagserfahrungen zu erhöhen.
Die durchschnittliche Wartezeit auf eine diagnose bei seltenen Erkrankungen beträgt mehr als drei Jahre. Rund 80 Prozent dieser Erkrankungen haben genetische Ursachen. Die Erforschung dieser Krankheiten kann nicht nur den Patienten mit seltenen Erkrankungen helfen, sondern auch das Verständnis und die Therapien für häufigere Erkrankungen fördern. Beispielsweise kann Wissen, das über das Alport-Syndrom erlangt wird, auch bestehende Therapien für andere Nierenerkrankungen verbessern.
Therapieansätze und Herausforderungen
Die Therapieoptionen bei seltenen Erkrankungen sind oft stark limitiert, da nur für etwa 3 Prozent der Erkrankungen zugelassene Medikamente existieren. Wittschier hat bereits zahlreiche Behandlungsansätze ausprobiert, darunter Lumbalpunktionen und Cortisontherapien, die jedoch keinen spürbaren Erfolg gebracht haben. Die medizinische Versorgungslandschaft ist komplex und oft undurchsichtig, was die Behandlung von Patienten zusätzlich erschwert. Der medizinische Versorgungsatlas für seltene Erkrankungen bietet Betroffenen jedoch einen Überblick über die vorhandenen Versorgungseinrichtungen in Deutschland.
Ein weiteres Beispiel für innovative Forschung ist das Brown-Vialetto-Van Laere-Syndrom, das mit defekten Transport-Molekülen zu tun hat und bei dem die Behandlung durch hohe Dosen von Vitamin B2 erfolgt. Diese spezifischen Ansätze verdeutlichen, wie wichtig gezielte klinische Studien und öffentliche Forschungsförderung für den Fortschritt in der Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen sind.
Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung setzt sich ebenfalls für eine bessere medizinische Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheiten ein. Wittschier hofft, eines Tages wieder einen normalen Tag zu erleben, an dem er alles spüren und schmecken kann – ein Grundpfeiler für viele, die an seltenen Erkrankungen leiden.