In Deutschland entbrennt eine äußerst kontroverse Debatte über die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag. Der Allianz-Chef Oliver Bäte hat einen Vorschlag veröffentlicht, der die Wiedereinführung eines sogenannten Karenztags vorsieht, an dem Arbeitnehmer bei Krankheit kein Gehalt erhalten würden. Bäte argumentiert, dass diese Maßnahme nicht nur die Arbeitgeber entlasten, sondern auch jährliche Einsparungen von bis zu 40 Milliarden Euro ermöglichen könnte. Überraschend ist, dass der Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius sich dieser Forderung anschloss und die hohen Krankenstände in Deutschland als ernsthafte Herausforderung für Unternehmen bezeichnete. Der Krankenstand lag 2024 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei durchschnittlich etwa 5,8 Prozent und somit höher als im EU-Durchschnitt von etwa 3,5 Prozent.
Bäte kritisierte Deutschland als „Weltmeister bei den Krankheitstagen“, mit einem jährlichen Kostenaufwand für Unternehmen von 77 Milliarden Euro und zusätzlich 19 Milliarden Euro für die Krankenkassen. In dieser Diskussion fordert der Sozialexperte Bernd Raffelhüschen sogar drei unbezahlte Krankheitstage. Jüngste Statistiken zeigen, dass deutsche Arbeitnehmer im Schnitt 20 Tage im Jahr krank sind, während der EU-Durchschnitt lediglich bei acht Tagen liegt. Diese massive Abweichung lässt kaum Raum für augenzwinkernde Kommentare.
Reaktionen und Bedenken
Die Reaktionen auf die Vorschläge variieren stark. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußert sich vehement gegen die Wiedereinführung des Karenztags und bezeichnet diesen als „zutiefst ungerecht“. Gewerkschafter warnen vor den negativen Effekten für die Gesundheit der Beschäftigten und malen ein Bild des „Präsentismus“ – dem Arbeiten trotz Krankheit. DGB-Vorsitzender Kai Burmeister betont, dass der Druck, auch bei Krankheit zur Arbeit zu erscheinen, damit nur zunehmen würde.
Zusätzlich befürchten Kritiker, dass die Maßnahme insbesondere bei psychischen Erkrankungen zu einer weiteren Stigmatisierung der Betroffenen führen könnte. Auch der wirtschaftliche Aspekt wird in der Diskussion hervorgehoben: Arbeitgeber zahlen bereits heute beträchtliche Summen für die Löhne ihrer kranken Mitarbeiter. Laut der DAA-Gesundheit waren Arbeitnehmer 2023 durchschnittlich für 15,1 Arbeitstage krankgemeldet, was zusätzliche Kosten in Höhe von 19 Milliarden Euro für die Krankenkassen mit sich brachte.
Gesellschaftlicher Kontext
Der soziale Kontext dieser Diskussion ist nicht zu vernachlässigen. Viele Experten machen die hohe Arbeitsbelastung und den Stress verantwortlich für den Anstieg der Krankmeldungen, insbesondere infolge der Corona-Pandemie. Die Notwendigkeit, diese Herausforderungen anzugehen, wird von verschiedenen Seiten betont. Andreas L. von der IG Metall kritisiert Bätes Vorschlag als riskant, da er die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer gefährden könnte. Längst aus der Mode gekommen, wurde der Karenztag in Deutschland bereits in den 1970er Jahren abgeschafft, ist jedoch in Ländern wie Schweden, Spanien und Griechenland nach wie vor zu finden und wirft Fragen zur Wirksamkeit solcher Regelungen in unterschiedlichen Kulturen auf.
Die Diskussion um den Karenztag wirft also nicht nur wirtschaftliche, sondern auch tiefgreifende soziale Fragen auf. Es bleibt abzuwarten, wie sich die politische Landschaft und die Meinungen in der Gesellschaft entwickeln, ob ein solcher Vorschlag tatsächlich in die Tat umgesetzt wird und welche Folgen das für die Arbeitskultur in Deutschland hätte.
Für weitere Informationen können Sie die Artikel auf SWR, Tagesschau und ZDF nachlesen.