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Brutalismus neu entdeckt: Vom ungeliebten Betonklotz zum Denkmal

Die Wiederentdeckung des Brutalismus im Jahr 2023, angeführt von Architekturexperten und sozialen Medien, führt zu einer neuen Wertschätzung für einst als "potthässlich" geltende Betonbauten in Deutschland und darüber hinaus, während viele von ihnen nun unter Denkmalschutz stehen und kulturelle Identitäten stärken.

Die architektonischen Strukturen, die als Brutalismus bekannt sind, erleben derzeit eine produktive Wiederbelebung. Ursprünglich umstritten, teils als „potthässlich“ abgetan, wird ein wachsendes Interesse an diesen Betonmonstern in sozialen Medien sichtbar. Vor allem jüngere Generationen entdecken die rohe Ästhetik dieser Bauwerke, die oft als Symbol für die Nachkriegsarchitektur in Deutschland fungieren.

Ein Paradebeispiel ist der Berliner Mäusebunker, ein Gebäude, das mit seinen nackten Betonwänden und markant herausragenden Lüftungsrohren schon fast bedrohlich wirkt. In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung des Bunkers gewandelt, was schließlich dazu führte, dass er 2023 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Diese Wende in der Wertschätzung ist nicht einzigartig, sondern betrifft zahlreiche weitere Brutalismus-Bauten, die mittlerweile ein neues Publikum anziehen.

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Die Ästhetik des Brutalismus

Die wörtliche Übersetzung des Begriffs „Brutalismus“ leitet sich vom französischen „Béton brut“ ab, was so viel wie „roher Beton“ bedeutet. Der Schweizer Architekt Le Corbusier war einer der Ersten, der diese Bauweise populär machte, indem er den Beton in seiner ungeschliffenen Form präsentierte. Dies ist nicht nur ein ästhetisches Konzept, sondern auch eine philosophische Haltung, die die Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit von Materialien betont.

Oliver Elser, ein Experte für Brutalismus und Kurator am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, beschreibt diesen Stil als „Bodybuilding-Architektur“. Es ist eine monumentale Ausdrucksform, die den Kontrast zur gefälligen und dekorativen Architektur des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik Deutschland bildet. Ein hervorragendes Beispiel für brutalistische Kirchenarchitektur ist die Wallfahrtskirche von Neviges, die von Gottfried Böhm, bekannt als „Gott des Betons“, entworfen wurde. Barbara Schock-Werner, ehemalige Dombaumeisterin in Köln, hebt die einzigartige Qualität solcher Architektur hervor und beschreibt das Erlebnis, durch das eindrucksvolle lichtdurchflutete Bauwerk zu schreiten, als überwältigend.

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel ist das Rathaus von Bensberg, auch bekannt als „Bensberger Akropolis“. Dieses Bauwerk vereint Elemente der mittelalterlichen Burg mit modernen Betonfassaden und sorgt damit für eine interessante visuelle Komplexität. Es erhielt Spitznamen wie „Beamtenbunker“ und „Aapefelse“, die die Gemüter zum Schmunzeln bringen und gleichzeitig die gewagte architektonische Auffassung veranschaulichen.

Renaissance des Brutalismus

Ab den 1980er Jahren begann der Brutalismus jedoch, aus der Mode zu geraten. Gründe hierfür waren nicht nur die hohen Kosten für den Bau von Sichtbeton-Architekturen, sondern auch die wachsende Meinung, dass diese Gebäude wenig einladend seien. Insbesondere die Ruhr-Universität Bochum stand lange in der Kritik, als eine „menschenfeindliche“ Umgebung beschrieben zu werden. Oliver Elser weist darauf hin, dass diese Wahrnehmung zu einem großen Teil auf fehlende soziale Treffpunkte wie Cafés zurückzuführen war.

Doch seit dem Jahr 2010 findet eine Renaissance des Brutalismus statt. Mit der drohenden Zerstörung von markanten Betonbauten regt sich Widerstand. Der Ursprung dieser Wiederentdeckung ist eine Facebook-Gruppe, die sich zur Aufgabe gemacht hat, den Brutalismus mit viel Humor zu feiern, und deren Botschaft schnell viral ging.

Die Wiederbelebung geht über Deutschland hinaus. Auch auf dem afrikanischen Kontinent und in Indien wird die brutalistische Architektur als Zeichen des Aufbruchs von kolonialer Herrschaft wahrgenommen. In diesen Regionen werden diese Bauwerke als Ausdruck einer positiven kulturellen Identität verstanden. Dagegen wird in ehemaligen Ostblockländern der Brutalismus häufig als Symbol politischer Unterdrückung gesehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Brutalismus, oft als „furchtbar“ und „unästhetisch“ vitriolisch kritisiert, nun in einem neuen Licht betrachtet wird. Während man in Deutschland gezielt einige herausragende Beispiele wie den Mäusebunker oder die Ruhruniversität Bochum empfiehlt, zeigt sich, dass die Wertschätzung für diese Architektur durch soziale Medien und einen generellen Sinneswandel eine neue Agenda in der zeitgenössischen Architekturdebatte eröffnet.

Lebt in Mühlheim und ist seit vielen Jahren freier Redakteur für Tageszeitungen und Magazine im DACH-Raum.
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