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Einblick in die Bundeswehr: Die Jugendlichen erleben die Discovery Days in der Uckermark Kaserne

Entdeckungstage in der Uckermark Kaserne. Beim Prenzlauer Fernmeldebataillon 610. Fünfundzwanzig meist noch minderjährige Teilnehmer lernen fünf Tage lang den Arbeitsalltag einer Truppeneinheit kennen. Die sogenannten „Discovery Days“ werden seit 2021 vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr organisiert. Mehr als zwanzig Kampagnen im Jahr werden von hier über die sozialen Medien gestartet, um junge Menschen für das soldatische Berufsleben zu interessieren. Es geht nicht um Re­kru­tie­rung, sondern um eine erste Kontaktaufnahme mit dem, was trotz aller Kehrtwenden im gesellschaftlichen Ansehen der Truppe seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs den meisten in diesem Land nach wie vor fremd bis zuwider ist: die Aura des Militärischen, das Gegenüber von Befehl und Gehorsam, der Einsatz von Waffen und Feindbildern.

Auf einem Wiesenplatz stehen die Teilnehmer an diesem frühen Morgen in verschiedenen Gruppen zusammen und lassen sich im Zeltaufbau oder Kabellegen unterrichten. Sie sind uniformiert und halten die Hände gehorsam hinter dem Rücken verschränkt, nur hier und da verrät noch ein heller Turnschuh den Zivilisten. Beim Blick auf die jugendlichen Körper in Uniform und in die teils noch kindlich anmutenden Gesichter überkommt einen unwillkürlich ein pazifistischer Reflex. Legen sich Bilder aus antikriegerischen Büchern und Filmen über die Wirklichkeit, Szenen aus Bernhard Wickis „Die Brücke“ oder Remarques „Im Westen nichts Neues“. Auch ein Lied klingt einem im Ohr, ein pazifistischer Protestsong, der hier in der ostdeutschen Fläche gerade wieder hoch im Kurs steht, Handwerker zitieren ihn, und Mütter kleben Zeilen daraus auf ihre Heckscheiben: „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ heißt das Lied von Reinhard Mey aus dem Jahr 1986, das jetzt, 2024, im Angesicht von „Kriegstüchtigkeit“, der Debatte um ein Wiederaufleben der Wehrpflicht und den zumindest hier und da erwogenen Einsatz von Bodentruppen eine neue bewusstseinsprägende Kraft entwickelt. Darin heißt es an entscheidender Stelle: „Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht/ sind’s wert, dafür zu töten und zu sterben/ nein, meine Söhne geb ich nicht“.

Überzeugte Worte, die noch vor wenigen Jahren wohl eine Mehrzahl der Deutschen als Glaubensbekenntnis unterschrieben hätte. Zu leicht ließ sich bislang hierzulande ein verbindender Strich aus der kriegszerstörerischen Vergangenheit in seine kriegsverweigernde Gegenwart ziehen. Aber dann marschierte Putin in die Ukraine ein, ließ seine Truppen auf bestialische Weise foltern, vergewaltigen und morden. Nicht erst die Bilder aus Butscha stellten die deutsche Öffentlichkeit vor die Gewissensfrage, ob es tatsächlich keine Ziele gäbe, die es wert wären, „dafür zu töten und zu sterben“? Die ausweichende Antwort, die man bisher in Deutschland darauf gefunden hat, lautet: Wir geben euren Söhnen Waffen, damit sie den gemeinsamen Feind töten, aber unsere Söhne geben wir nicht. Darauf kann sich die regierende Politik insbesondere mit Blick auf die drei anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen im Moment noch zurückziehen.

Die Militärs in diesem Land können es nicht. Denn sie müssen vorbereitet sein für das, was gerade als Szenario in jeder Bundeswehreinheit durchgespielt wird: den Bündnisfall. Also die Möglichkeit, dass russische Truppen etwa im Baltikum die NATO-Grenze überschreiten und die Bereitschaft der Verteidigungsgemeinschaft auf die Probe stellen. In so einem Fall würden Waffenlieferungen nicht mehr ausreichen, dann müssten „unsere Söhne“ in den Krieg. Um keinen Zweifel am neuen deutschen Verpflichtungsgefühl aufkommen zu lassen, wird durch die Bundeswehr gerade zusätzlich eine Kampftruppenbrigade in Litauen aufgestellt, als unmissverständliches Signal an die Bündnispartner, nicht nur mit Worten und Waffen bereitzustehen, wenn es ernst würde. Bislang sind erst ein paar Dutzend Soldaten dort, die Anwerbungen laufen auf Hochtouren – und zeigen deutlich, worüber öffentlich eher ungern gesprochen wird: Die Bundeswehr braucht nicht nur Geld, sie braucht auch Menschen. Ausgebildete Soldaten, die im Zweifelsfall bereit sind, ihr Leben für das einzusetzen, was sie als Diensteid schwören: „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Das sagt und schreibt sich so leicht. Als wäre es etwas sehr Wichtiges, das im Ernstfall schon andere für uns und unsere „Werte“ erledigen würden. Aber wer sind diese anderen, wenn keiner seine eigenen Söhne dafür geben will? Gibt es Söhne ohne Eltern?

Zumindest gibt es junge Menschen, die gegen den Wunsch ihrer Eltern nach Prenzlau gekommen sind. Eine junge Teilnehmerin, gebürtig in der Uckermark, gibt offenherzig Auskunft über ihre Beweggründe: „Der Krieg in der Ukraine motiviert mich. Man weiß ja nicht, wie das Ganze sich entwickelt und vielleicht auch auf Deutschland rüberschwappen wird. Und wenn der Krieg dann hierherkommt, sind all die zivilen Berufe in der Bürokratie oder im Finanzwesen nicht mehr so entscheidend, dann würde die Bundeswehr plötzlich sehr wichtig.“ Angesprochen auf die nach wie vor nicht ins konventionelle Bild passende Vorstellung von einer jungen Frau beim Dienst an der Waffe („unsere Söhne“), kontert sie mit eindrucksvollem Enthusiasmus: „Meine Geschwister denken, das ist eine Phase, die vielleicht nur ein paar Wochen anhält. Aber ich bin wirklich überzeugt, dass ich das machen möchte. Ich weiß: Die fünf Tage hier sind nicht so ernst, wie das Leben eines Soldaten später sein wird. Aber ich denke wirklich, dass ich das rocken und mich gerade als junge Frau beweisen werde, um nicht irgendwie in den Hintergrund zu fallen nur wegen meines Geschlechts.“

Andere Teilnehmer berichten von der Skepsis ihrer Eltern mit Blick auf eine mögliche militärische Berufswahl. Ein junger Mann mit scheuem Blick spricht von der Angst seiner Familie davor, dass sich „seine Persönlichkeit verändern könnte“. Die Vorstellung, dass Disziplin und Duldsamkeit einen Charakter auch zum Besseren bilden können, scheint nach wie vor wenig verbreitet. Zu stark wirkt der antimilitaristische Gestus der Nachkriegszeit fort, ein Gestus, der 1995 in dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil, nach dem der generelle Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung gedeckt sei, seine größte Erfüllung fand. Mit so einem Satz können die jungen Teilnehmer des „Discovery Days“ nichts anfangen. Genauso wenig wie mit dem kürzlich in einer Studie zum Gemütszustand junger Menschen festgestellten angeblich generationstypischen Pessimismus wegen Klima und Krieg. Das jugendliche Gemüt an diesem Morgen in Prenzlau klingt ganz anders: „In Anbetracht des Ukrainekrieges sehe ich die Verteidigung Deutschlands als eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft an – das motiviert mich, der Bundeswehr beizutreten“, sagt ein junger Mann und zeigt sich damit realitätsbereiter als so manch einer seiner älteren Zeitgenossen.

Generell seien die freiwilligen Meldungen junger Menschen seit Ausbruch des Ukra­inekrieges deutlich in die Höhe gegangen, berichtet ein Oberstleutnant aus dem Bundespersonalamt. Als Beweggrund für das Interesse am Soldatendienst werde beispielsweise angeführt, dass „so etwas wie in Butscha“ in Deutschland auf keinen Fall geschehen dürfe. Um dieses Verantwortungsgefühl ernst zu nehmen, werde den jungen Teilnehmern aber auch gezeigt, welche Entbehrungen der Alltag als Soldat mit sich bringe; es gehe darum, ein realistisches Bild zu zeichnen, damit die Bundeswehr „keine Blackbox“ darstelle. Für manche Teilnehmer scheint sie aber genau das noch zu sein. Eine junge Frau gibt unbekümmert ihre Abenteuerlust als Teilnahmegrund an: „Ich will später nicht im zivilen Leben arbeiten, ich will ein bisschen Abenteuer in meinem Leben haben. Deshalb will ich zur Bundeswehr“.

Ein Hauptmann mit Vornamen Paul, dem kenntnislosen Besucher als fachkundiger Begleiter zur Seite gestellt, korrigiert sanft: „Robben sagen wir nicht mehr, wir sprechen von Gleiten.“ Und ja, so der Hauptmann, der selbst als ausgebildeter Fallschirmjäger auf Zeit dient, die alten Techniken behielten trotz Drohnenkrieg und Cyberattacken ihre Berechtigung. Die Orientierung in unwegsamen Geländen, das Transportieren von Gegenständen über lange Strecken hinweg, das Überwinden von Hindernissen – all das seien nach wie vor entscheidende Techniken für den Soldaten im Einsatz.

Leicht zusammen kriegt man das nicht mit dem, was das Fernmeldebataillon 610 an diesem Tag als seine Tätigkeitsschwerpunkte präsentiert. Da geht es nämlich in erster Linie um Kommunikation. Also das, was in jedem Krieg zur Vorbedingung für erfolgreiches militärisches Handeln wird. Das seit 2007 in Prenzlau stationierte Ba­tail­lon hat den Auftrag, im Einsatz und auf Übungen den Hauptgefechtsstand des Multinationalen Korps Nordost einzurichten. Dieses im nur 50 Kilometer entfernten Stettin stationierte Korps setzt sich vor allem aus Polen, Dänen und Deutschen zusammen und wird momentan vom deutschen General von Sandrart befehligt. Im Falle einer „Landes- und Bündnisverteidigung“ (abgekürzt LVBV) wäre das Fernmeldebataillon 610 ein entscheidender Baustein beim Abwehrkampf der NATO.

In den an diesem Morgen mit Tarnnetzen verhängten Zelten und Lkw-Aufbauten sind Prototypen von Kommunikationszentralen aufgebaut. Server blinken, Kabel hängen von der Decke, Laptops schnurren wie in jeder x-beliebigen IT-Abteilung. Allerdings gibt es bei genauerem Hinhören doch zentrale Unterschiede: Zum Beispiel werden in militärischen Zusammenhängen grundsätzlich nur Landleitungen und kein WLAN benutzt. Sind Mobiltelefone wegen ihrer gefährlichen Signalstärke innerhalb der Gefechtsstände strikt verboten. Als abschreckendes Beispiel erzählt Hauptmann Paul eine Geschichte von jungen russischen Soldaten, die zu Beginn des Ukraineüberfalls Fotos ihrer Eroberungen live in die Welt posteten und kurze Zeit später von einer ukrainischen Rakete ausgelöscht wurden. Der Blitz als Zeichen im Wappen des Fernmeldebataillons 610 steht eben auch für die potentiell scharfe Gefahr durch Signale und Frequenzen.

Bis heute begegnet man den Russen in der Stadt mit einer Mischung aus Furcht und Respekt. Aus dieser Gemütslage heraus hat Prenzlaus Bürgermeister unlängst davor gewarnt, sich mit „dem Russen“ anzulegen. Waffenlieferungen an die Ukraine sieht er kritisch und spricht damit offenbar einer Mehrheit der Prenzlauer Bürger aus dem Herzen. Vor einigen Wochen fand diese Stimmung ihren Ausdruck in einem offenen Brief des Landkreises, den unterschiedliche Parteien von SPD bis AfD unterzeichneten und der Bundeskanzler Scholz zu diplomatischen Schritten statt Waffenexporten aufforderte. Wie wirkt so eine Forderung in den Augen eines erfahrenen Militärs?

Oberstleutnant Riedel zeigt sich zurückhaltend einfühlsam. Dass der Wunsch nach Frieden in der Bevölkerung und übrigens auch innerhalb der Soldatenschaft vorherrsche, sei verständlich. Aber dann müsse man „sich die Realitäten anschauen, und diese weichen eben manchmal ab von den Wünschen, die man hat“. Natürlich sei ihm bewusst, dass sich bei den Deutschen inzwischen „eine gewisse Müdigkeit“ beim Thema Krieg breitmache. Deshalb sei es umso wichtiger, der Bevölkerung bewusst zu machen, dass dieser Krieg „vor unseren Türen stattfindet, mitten in Europa“.

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Mit einem Portfolio, das mehr als zwei Jahrzehnte Berufserfahrung umfasst, ist der freie Redakteur und Journalist Konrad l. Schneider ein fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft.
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