Die Linke steht aktuell vor großen Herausforderungen: Hohe Flügelkämpfe, Parteiaustritte und Wahlschlappen haben die Partei in den letzten Jahren stark belastet. Gregor Gysi, der 77-jährige Politiker und Hoffnungsträger der Linken, erkennt an, dass die Partei lange Zeit zerstritten und aufs eigene Wohl bedacht war, was als größter Fehler angesehen wird. Auf dem Parteitag im Herbst 2024 beschloss man, die Bürger, insbesondere im Osten Deutschlands, wieder intensiver in den Fokus zu rücken. Gysi betont, dass neue Führungspersönlichkeiten aus der nächsten Generation benötigt werden, um die Linke zukunftsfähig zu machen.
Als Teil dieser Strategie verfolgt die sogenannte „Mission Silberlocke“, die Gysi zusammen mit Bodo Ramelow (68) und Dietmar Bartsch (66) ins Leben rief, das Ziel, die Sichtbarkeit der Partei zu erhöhen. Trotz der Erfolge der SPD und Grünen argumentiert Gysi, dass die Linke weiterhin eine Daseinsberechtigung hat. Er kritisiert die Regierungsarbeit von SPD und Grünen, insbesondere bezüglich des Mietenproblems und der sozialen Ungleichheit im Land.
Verhältnis zur Migrationspolitik
Ein zentraler Aspekt in Gysis Argumentation ist die Migrationspolitik der Linken, die auf humanistischen Werten basiert. Laut Gysi hat die Linke den Osten vernachlässigt, was der AfD Freiräume gegeben hat. Er erkennt die Unpopularität der aktuellen Migrationspolitik in der Linken an, sieht jedoch die Notwendigkeit, diese Position zu vertreten. Kritisch äußert er sich über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die er als faktische Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl betrachtet. Diese Reform wird von der Ampelregierung als „historischer Erfolg“ deklariert, steht jedoch in der Kritik, da sie Familien mit Kindern in Haftlager an den Außengrenzen Europas internieren könnte. Die Linke hingegen fordert eine unbürokratischere Aufnahme von Geflüchteten und möchte die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen, anstatt Flüchtende selbst zu bekämpfen.
Das Betteln um humanitäre Werte zieht sich durch die Programme vieler Parteien. Die Linke hebt hervor, dass sie Teil des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“ ist, während sie sich gleichzeitig für ein Recht auf „nicht migrieren zu müssen“ einsetzt. Gysi kritisiert die aktuellen politischen Rahmenbedingungen und betont die Notwendigkeit, Fluchtursachen, die häufig mit globaler Ungleichheit verbunden sind, anzugehen.
Wirtschaftliche Aspekte und soziale Gerechtigkeit
Die Linke wird oftmals als wirtschaftsfeindlich wahrgenommen, Gysi widerspricht dieser Einschätzung entschieden. Er fordert eine Reform der Steuerpolitik, um die Lohnsteuer für die Mitte zu senken und die Kapitalertragssteuer zu erhöhen. Ein weiteres zentrales Thema in seinen Ausführungen ist das Rentenproblem im Osten, wo viele Menschen trotz längerer Arbeitszeiten oft weniger Rente erhalten, was auf die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Ressourcen hinweist.
Während viele Parteien, darunter SPD und Grüne, eine solidarische Migrationspolitik propagieren, ist die Linke vehement gegen die drastischen Maßnahmen, die von anderen Parteien, wie CDU/CSU und AfD, vorgenommen werden, um Zuwanderung zu begrenzen. Gysi sieht in der aktuellen Migrationspolitik nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Möglichkeit, den wichtigen Dialog über Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit zu intensivieren.
Die kommenden Wahlen, insbesondere die Europawahl 2024, werden ein entscheidendes Prüfstand für die Linke sein. In Anbetracht sich verändernder politischer Landschaften muss die Partei ihren Kurs weiter klar definieren, um sowohl ihre Basis als auch neue Wähler zu mobilisieren. Der Fokus auf humanitäre Werte wird dabei einen zentralen Teil ihrer Strategie ausmachen.