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Ausländerfeindliche Partykultur auf Sylt enthüllt gesellschaftliches Problem

Mit der rechten Hand den Hitlergruß angedeutet. Mit der linken Hand den Bart. Junge Menschen grölen in bester Feierlaune „Ausländer raus“-Parolen in die Handykamera. Niemanden um sie herum scheint das zu stören. Ein ausländerfeindlicher Vorfall in einer Diskothek auf Sylt hat die Frage aufgeworfen, inwiefern er ein breites gesellschaftliches Problem ans Licht gebracht hat und die Sorge um die Demokratie verstärkt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich am Wochenende besorgt um „die Verrohung der politischen Umgangsformen“. Die Ereignisse in dem Internetvideo gäben Anlass dazu, „weil es offensichtlich nicht nur die Randständigen, Abgehängten sind, die sich radikalisieren, sondern es ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet“, sagte Steinmeier auf einem Demokratiefest in Bonn.

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Videos wie das aus Sylt kursierten in den vergangenen Monaten immer wieder im Netz. Was Sylt aber so brisant macht, ist die Tatsache, dass hier junge Menschen augenscheinlich aus dem wohlhabenden, bürgerlichen Milieu zu sehen sind. Kein Stereotyp, kein frustrierter Ostdeutscher, der immer wieder gerne als Symbol für Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus herhalten muss. Der Pony Club, in dem die jungen Menschen rassistische Gesänge von sich gaben, liegt auf der sogenannten Whiskeymeile in Kampen. Hier ist der deutsche Reichtum zu Hause.

Völlig ungeniert und ausgelassen grölen die Männer und Frauen fremdenfeindliche Gesänge in die Handykamera. Rechtsextreme Parolen sind offenbar Party-Unterhaltung geworden. Der Antisemitismusbeauftrage der Bundesregierung Felix Klein ist geschockt von den Aufnahmen und sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Nicht etwa, weil mich die Existenz solch menschenfeindlicher Ideologie überrascht, sondern weil sie ganz offensichtlich Teil der Popkultur und in einem Milieu salonfähig geworden ist, dem klar sein müsste, dass Ausländer maßgeblich zu unserem Wohlstand beitragen.“

Rechtsextreme Einstellungen nehmen in Deutschland zu. Das geht aus der im Herbst 2023 vorgestellten Mitte-Studie hervor, die im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre die Einstellungen der gesellschaftlichen Mitte abfragt. Demnach gaben rund 16 Prozent der Befragten in den Jahren 2022/2023 an, ausländerfeindliche Einstellungen zu haben – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu früheren Erhebungen.

„Der Vorfall auf Sylt ist insofern eine Ausnahme, weil in bürgerlichen Milieus der Rassismus sonst subtiler und mit mehr Fingerspitzengefühl geäußert wird“ sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert. Rassismus, so Reinfrank, bleibe so im Rahmen der sozialen Erwünschtheit und müsse nicht explizit werden. „Aber alle verstehen, was gemeint ist: Früher war es der Onkel mit den Naziparolen auf dem Familienfest, heute ist es die Diskussion darüber, wie hoch der Anteil nichtdeutscher Schüler auf dem Schulhof ist und ob es noch vertretbar sei, sein eigenes Kind dorthin zu schicken.“

Für die Sylter Party-Gröler gab es bereits erste Konsequenzen: Einige haben ihren Job verloren, der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in ruhigen Ton, aber doch klar distanziert: „Solche Parolen sind eklig, sie sind nicht akzeptabel“, sagte er am Freitag in Berlin. „Und darüber darf es kein Vertun geben. Und deshalb ist es auch richtig, dass all unsere Aktivitäten darauf gerichtet sind, genau zu verhindern, dass das eine Sache ist, die sich verbreitet.“

Mit dem Verhindern scheint man noch nicht sehr erfolgreich zu sein. Am Wochenende wurden ein weiterer Fall bekannt, in denen Menschen ausländerfeindliche Parolen skandierten. Ähnlich wie in Sylt sollen am Freitagabend zwei Männer auf einem Volksfest in Erlangen zu dem Lied „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino „Ausländer raus“ gebrüllt haben. Die Kripo Erlangen hat mittlerweile dazu Ermittlungen in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth aufgenommen.

Während am Wochenende das Demokratiefest zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes gefeiert wird, mit seinen Werten wie Toleranz und Menschenwürde, wächst in Deutschland die Sorge vor einer Aushöhlung desselbigen. Mit Blick auf die Feierlichkeiten sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) den Zeitungen der Funke Mediengruppe, Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. „Das zu schützen, ist unsere Aufgabe.“

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Mit einem Portfolio, das mehr als zwei Jahrzehnte Berufserfahrung umfasst, ist der freie Redakteur und Journalist Konrad l. Schneider ein fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft.
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