In Berlin leben tausende obdachlose Menschen, deren Alltag auf der Straße häufig von Gewalt geprägt ist. Laut einer parlamentarischen Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus gab es 2024 insgesamt 506 Fälle von Gewalt gegen Obdachlose, was einen Anstieg von 61 Fällen gegenüber 2023 darstellt. Viele dieser Vorfälle werden dem Bereich „Hasskriminalität“ zugeordnet. Unter diesen Gewalttaten finden sich 241 Fälle von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung und 166 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf.
Obdachlosigkeit ist ein drängendes Problem in Berlin, das nicht nur mit körperlicher Gewalt, sondern auch mit psychischen Erkrankungen einhergeht. Rund 70% der obdachlosen Menschen in der Hauptstadt sind von psychischen Erkrankungen betroffen, was Gewaltreaktionen begünstigen kann. Der Senat hat den „Housing First“-Ansatz hervorgehoben, um Gewalt gegen Obdachlose zu vermeiden, indem Wohnraum bereitgestellt wird. Barbara Breuer von der Berliner Stadtmission unterstreicht, dass Gewalt zum Alltag von Obdachlosen gehört, häufig möglicherweise durch außenstehende Personen oder durch gegenseitige Gewalt verursacht.
Housing First als Lösungsansatz
Der „Housing First“-Ansatz, der aus den USA stammt, bietet eine vielversprechende Methode zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Dabei wird obdachlosen Personen zunächst eine Wohnung zur Verfügung gestellt, während die anderen Herausforderungen später angegangen werden. Dies steht im Gegensatz zu traditionellen Modellen, bei denen Menschen erst ihre „Wohnfähigkeit“ nachweisen müssen, bevor sie Wohnraum erhalten. Seit 2018 werden in Berlin zwei Projekte unter diesem Ansatz gefördert, die es ermöglichen, obdachlose Menschen ohne Vorbedingungen in Wohnungen unterzubringen.
Von Januar 2018 bis September 2021 wurden diese Projekte, „Housing First Berlin“ und „Housing First für Frauen Berlin“, erfolgreich erprobt. Zielgruppen sind vornehmlich langjährig obdachlose Frauen und Männer, die keinen Zugang zum herkömmlichen Versorgungssystem haben. Nach der Modellprojektphase wurde Housing First in Berlin verstetigt und ausgebaut, um langfristig in das Regelsystem der Wohnungsnotfallhilfe integriert zu werden. Aktuell gibt es in der Stadt zwei „Housing First“-Projekte, die bereits 60 Obdachlosen in Tiny Houses eine dauerhafte Unterkunft vermittelt haben.
Die Situation in Notunterkünften
Die Notfallübernachtungen in Berlin sind ein wesentlicher Bestandteil der Hilfsangebote für Obdachlose. Bis Ende März stehen in den Berliner Notübernachtungen 1.165 Plätze zur Verfügung, wobei die Auslastung an kalten Nächten bis zu 96% beträgt. Ab April 2025 werden jedoch weniger Notübernachtungen verfügbar sein, was eine zusätzliche Herausforderung für die bereits stark belastete wohnungslose Bevölkerung darstellt.
Ein besonderes Augenmerk gilt auch den spezifischen Bedürfnissen von Frauen und der LSBTIQ+-Gemeinschaft, für die spezielle Angebote bereitgestellt werden. Trotz der Notfallangeboten hat sich ein tiefes Misstrauen gegenüber der Polizei entwickelt, was es den Obdachlosen erschwert, nach Gewalterfahrungen Hilfe zu suchen. Um dem entgegenzuwirken, fordert Barbara Breuer mehr niedrigschwellige Angebote wie Tageszentren, die therapeutische und beratende Leistungen bieten.
Forschung und Partizipation
Die Diskussion um Obdachlosigkeit wird auch durch Forschung beleuchtet, die die Komplexität der Thematik erfasst. Die europäische Typologie der Wohnungslosigkeit unterscheidet zwischen verschiedenen Formen, von der chronischen Obdachlosigkeit bis hin zu unsicheren Wohnverhältnissen. Außerdem zeigt die Forschung, dass partizipative Ansätze in der Obdachlosenhilfe immer wichtiger werden, um den betroffenen Menschen eine Stimme zu geben und ihre Entscheidungsfindung zu stärken.
Die Kombination aus strukturellen, familiären und individuellen Faktoren wird als Hauptursache für Obdachlosigkeit angesehen. Ein weiterer Aspekt ist die hohe Kosten der Notfallmaßnahmen, die für die Gesellschaft belastend sind. Der Housing First-Ansatz bietet hier einen innovativen Ansatz, indem er Sicherheit und Stabilität schafft, ohne von den Betroffenen vorausgesetzte Bedingungen zu verlangen.
Die Notwendigkeit für mehr Unterstützung und Stabilität in Programme wie Housing First und die Schaffung besserer Bedingungen für obdachlose Menschen ist dringender denn je, um eine Verbesserung ihrer Lebensqualität zu erzielen und Gewalt zu reduzieren.
RBB24 berichtet, dass … Hier finden Sie weitere Informationen zu den Gewaltvorfällen gegen Obdachlose in Berlin. Details zu den Housing First-Projekten in Berlin können auf der Seite von Berlin.de nachgelesen werden, und aktuelle Forschungsergebnisse finden sich bei NCBI.