Ekrem Imamoglu, der Bürgermeister von Istanbul und angesehener Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wurde vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Volkspartei (CHP) verhaftet. Diese unerwartete Entwicklung kam einem Putschversuch gleich, wie CHP-Chef Özgür Ozel betonte. Die Partei hatte geplant, Imamoglu am kommenden Sonntag offiziell für die Präsidentschaftswahl 2028 zu nominieren. Ozel rief die 1,7 Millionen Mitglieder der CHP auf, trotz der Umstände an der Kandidatenwahl festzuhalten, um ein Zeichen für die türkische Demokratie zu setzen.

Die Verhaftung von Imamoglu erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem er nicht nur politisch relevant, sondern auch durch die Wiederwahl im März 2024 gestärkt wurde. Laut Berichten des Büro des Gouverneurs von Istanbul wurde eine viertägige Sperre für Demonstrationen und Versammlungen in der Stadt verhängt, die bis Sonntag gilt. Imamoglu wird unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, was weitere Ermittlungen gegen insgesamt 99 Personen zur Folge hat.

Streit um Hochschulabschluss

Inmitten dieser rechtlichen Auseinandersetzungen wurde Imamoglu von der Istanbul-Universität der Hochschulabschluss aberkannt, ein entscheidender Schritt für seine angestrebte Präsidentschaftskandidatur. Die Annullierung steht im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen unrechtmäßigen Universitätswechsel und wirft Fragen auf über die politische Motivation hinter der Entscheidung, die Ozel ebenfalls als politisch motiviert bezeichnete. Imamoglu plant, gegen diese Entscheidung vorzugehen, sieht sich jedoch einem wachsenden Misstrauen gegenüber der Justiz gegenüber.

Die Umstände seiner Festnahme haben bereits zu Protesten und einer massiven Polizeipräsenz geführt. Imamoglu berichtete auf der Plattform X von Hunderte Polizisten, die vor seiner Haustür stünden, und sprach von „großer Tyrannei“. Zudem wurde sein Anwesen durchsucht, was die Bedenken hinsichtlich der politisch beeinflussten Justiz in der Türkei weiter intensiviert.

Politischer Kontext

Die Türkei hat eine lange Geschichte politischer Umwälzungen, die häufig von militärischen Interventionen geprägt ist. Seit der Gründung der Republik im Jahr 1923 ist die politische Landschaft durch die Prinzipien des Kemalismus geprägt, die den Einfluss der Religion auf den Staat minimieren. Doch jüngste Verfassungsänderungen und die Stärkung des Präsidialsystems haben die politische Stabilität des Landes unter Druck gesetzt. Die 2017 eingeführten Änderungen verstärkten die Exekutive und schränkten die Unabhängigkeit der Justiz ein, was zur gegenwärtigen Situation beiträgt.

Imamoglu steht an der Spitze einer der stärksten Oppositionen gegen die aktuelle Regierung und zeigt, dass trotz der autoritären Tendenzen der türkischen Politik, das Streben nach einer demokratischen Zukunft weiterlebt. Er drohen nicht nur Haftstrafen, sondern auch politische Verbote, was die anstehenden Wahlen umso brisanter macht. Der Druck auf die Opposition zeigt die Spannungen, die in einem Land herrschen, das sich stets bemüht, den Wert demokratischer Prozesse zu bewahren.