In Haisterkirch, einem kleinen Ort in der Nähe von Bad Waldsee, kümmert sich der 75-jährige Bernd Schmid als Mesner der Kapelle St. Sebastian um mehr als 20.000 Kerzen. Seit neun Jahren besucht er die Kapelle mindestens zweimal pro Woche, um den Kerzenbestand zu prüfen und die Umgebung sauber zu halten. Schmid bestellt jährlich 20.000 kurze, milchweiße Opferkerzen, die eine Brenndauer von zwei bis drei Stunden haben und rückstandslos abbrennen. Die Kerzenhalter aus Messing, die in der Kapelle verwendet werden, sind patentiert und tragen zu diesem besonderen Merkmal bei. Trotz der kalten Wintertage ist die Kapelle ein Ort der Wärme und des Lichts für viele Pilger.

Am 20. Januar wird in der Kapelle ein großer Andrang von Pilgern erwartet, anlässlich des Jahrestages des Schutzpatrons. An diesem Tag verwandelt sich die Kapelle in ein leuchtendes Kerzenmeer, wenn zahlreiche Kerzen entzündet werden, um den Raum mit Licht zu erfüllen. Der Mesner und die Geschäftsführerin Silvia Albrecht betonen dabei, dass jede Flamme Rußpartikel absondert, weshalb viele Kirchen mittlerweile auf LED-Lichter umgestiegen sind – eine Veränderung, die Schmid und Albrecht als wenig romantisch empfinden.

Pilgerströme und besondere Bedeutungen

Die Kapelle St. Sebastian, die als meistbesuchte Kapelle in der Region gilt, zieht Pilger aus der Seelsorgeeinheit „Heimat Bischof Sproll“ an. Am 14. Januar versammelten sich große Gruppen zum Gebet und Gesang an einem sonnigen Wintertag. Die Pilgergruppe aus dem südlichen Bereich von Biberach kam traditionell zusammen, um an der Kapelle innezuhalten. Der Altarbereich der Kapelle wurde dabei prachtvoll geschmückt, unter anderem mit einem Lichterkranz, der von der Familie Groß aus Osterhofen gespendet wurde.

Im Jahr 2023 wurden in der Kapelle insgesamt 15.000 Kerzen angezündet, was die Bedeutung des Ortes als „Kraftort“ für Hoffnung und Zuversicht unterstreicht. Insbesondere während der Weihnachtszeit und im Januar erleben die Bürger und Pilger einen Anstieg der Kerzenanzahl. Die schlichte, zauberhafte Atmosphäre wird durch den persönlichen Einsatz von Bernd und seiner Frau Rosmarie Schmid, die den weihnachtlichen Schmuck gestalten, noch verstärkt.

Eine lange Geschichte der Kerzen

Die Geschichte der Kerzenherstellung reicht über 5000 Jahre zurück und hat ihre Ursprünge in alten Zivilisationen wie Ägypten, Mesopotamien und Indien. Kerzen spielten nicht nur eine praktische Rolle, sondern hatten auch rituelle und religiöse Bedeutungen in verschiedenen Kulturen. So wurden im alten Ägypten Kerzen aus Bienenwachs hergestellt und symbolisierten eine Verbindung zur göttlichen Welt. In Mesopotamien kamen tierische Fette und pflanzliche Öle zum Einsatz, um Götter in religiösen Zeremonien zu ehren.

Mit der industriellen Revolution erfuhr die Kerzenproduktion entscheidende Veränderungen. Techniken, Materialien und Herstellungsweisen entwickelten sich weiter, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden und umweltfreundliche Alternativen zu schaffen. Heute sind Kerzen nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern auch Designobjekte, die in vielen Haushalten ihren Platz finden.

Der in Haisterkirch ausgeübte Brauch, Kerzen zu entzünden und die Kapelle zu feiern, ist ein kleines, aber bedeutendes Beispiel für die fortdauernde Bedeutung von Kerzen in der Gesellschaft. Der Wandel von der rituellen Verwendung zu alltäglichen Momenten des Lichts zeigt die zeitlose Anziehungskraft, die von diesem einfachen, aber tiefgründigen Objekt ausgeht.