Am 6. Februar 2025 sind in der Türkei zwei Jahre seit den verheerenden Erdbeben vergangen, die das Land in eine humanitäre Tragödie stürzten. Laut der Türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad leben aktuell noch immer 648.886 Menschen in Notunterkünften, vorwiegend in Containern. Diese Zahl ist alarmierend hoch, wenn man bedenkt, dass zuvor von rund 400.000 betroffenen Personen in urbanen Zentren die Rede war. Die Lebensbedingungen sind suboptimal: Regelmäßige Strom- und Wasserausfälle sowie schlechte Hygienebedingungen belasten die Überlebenden erheblich, wie die Türkische Bauingenieurskammer feststellt.
Die Seismischen Ereignisse, die am 6. Februar 2023 stattfanden, manifestierten sich in zwei heftigen Beben mit Stärken von 7,7 und 7,6. Sie forderten offizielle Zahlen von 53.737 Todesopfern und 107.213 Verletzten. Weltweit wurde das Ausmaß der Zerstörung als beispiellos beschrieben, 40.000 Gebäude stürzten ein und etwa 220.000 wurden schwer beschädigt. Experten führten die hohe Opferzahl auf erhebliche Baumängel zurück und kritisieren die türkische Regierung für ihre unzureichende Bautkontrolle und mangelnde Verantwortung im Wiederaufbauprozess.
Wiederaufbau und Regierungsverantwortung
Die türkische Regierung unter Präsident Erdogan propagiert den Wiederaufbau als „größte Baustelle der Welt“. Kritiker hingegen bemängeln, dass dieser Prozess weder inklusiv noch verantwortlich sei. In Kahramanmaras, dem Epizentrum der Beben, wurden hastig vierstöckige Wohnhäuser errichtet. Während einige Menschen schnell aus Notunterkünften in neue Wohnungen ziehen konnten, finden andere sich weiterhin in Containern wieder. Yunus Emre Kacamaz, Vorsitzender der Architektenkammer in Kahramanmaras, äußert Bedenken über die fehlenden grundlegenden Prinzipien im Wiederaufbau und die mangelhafte Verantwortung der Regierung.
In Adiyaman wurde ein Drittel der Gebäude durch die Erdbeben zerstört, und die Rückkehr zur Normalität wird durch einen chaotischen Wiederaufbauprozess behindert. Die Große Moschee von Adiyaman ist eingestürzt, während in Hatay zehntausende Menschen gegen die langsame Aufarbeitung und die chaotischen Rettungsaktionen demonstrieren. Bischof Gregorios Melki Ürek überwacht den Wiederaufbau der syrisch-orthodoxen Kirche, was die kulturellen und religiösen Dimensionen der Zerstörung beleuchtet.
Die Angst vor neuen Beben
Die Sorge über die Möglichkeit erneuter Erdbeben bleibt omnipräsent. Experten der Erdbebenwarte Kandilli schätzen die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Beben über Stärke 7 bis 2030 auf 60%. In Istanbul stehen rund 100.000 Gebäude unter akutem Einsturzrisiko, was in der Bevölkerung Angst und Unsicherheit schürt. Der Geologieprofessor Sükrü Ersoy hat betont, dass viele Gebäude bisher nicht aufgerüstet wurden, was die Gefahrenlage weiter verschärft. Der Türkische Städtebauminister Murat Kurum hat dennoch eingeräumt, dass Istanbul einem Erdbeben nicht standhalten könnte.
Die aktuellen Herausforderungen und die anhaltenden Traumata nach den Erdbeben haben auch das Interesse der Wissenschaftler geweckt. Ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Darmstadt, das den Titel „Build Back Better!“ trägt, zielt darauf ab, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die betroffenen Communities stärker in den Wiederaufbauprozess einzubeziehen. Professor Nicolai Hannig und sein Team untersuchen nicht nur technische Aspekte, sondern auch die sozialen Implikationen des Wiederaufbaus in Katastrophengebieten. Historiker wie Julian Schellong beleuchten, wie Naturkatastrophen kulturelle Gedächtnisse und gesellschaftliche Strukturen langfristig beeinflussen.
Die gegenwärtige Situation in der Türkei bleibt angespannt und komplex, während die Hoffnung auf einen erfolgreichen Wiederaufbau und eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen bei den Betroffenen auf die Probe gestellt wird.