Beim aktuellen EU-Spitzentreffen in Brüssel hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine klare Absage an gemeinsame europäische Schulden für Rüstungsinvestitionen erteilt. Scholz betonte, dass es keine Perspektive für solche Schulden gebe und forderte stattdessen mehr Flexibilität für die einzelnen Mitgliedstaaten der EU. „Wir müssen die bestehenden Schuldengrenzen ausreizen, um auf Herausforderungen wie durch Russland besser vorbereitet zu sein“, erklärte er. Diese Position steht im Einklang mit den Richtlinien des Stabilitäts- und Wachstumspakts, welcher Obergrenzen für Staatsschulden und Haushaltsdefizite festlegt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich hingegen offen dafür, die Spielräume des Stabilitäts- und Wachstumspakts auszuschöpfen, um die Verteidigungsausgaben der Union zu erhöhen. Ihr Vorschlag zielt darauf ab, die Defizitquote von unter drei Prozent des BIP und eine Schuldenquote von maximal 60 Prozent des BIP zu berücksichtigen. Die Überwachung und Durchsetzung dieser Regeln soll durch eine Reform des Paktes vereinfacht werden, die am 29. April 2024 vom Ministerrat beschlossen wurde, und die individuelle Lage der Mitgliedstaaten künftig stärker berücksichtigen wird, wie Tagesschau berichtet.
Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde ursprünglich 1997 im Vertrag von Amsterdam festgelegt. Während der Corona-Krise und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden Strafverfahren ausgesetzt, doch ab Frühjahr 2024 sollen die Defizitverfahren erneut eröffnet werden. Die Reform beinhaltet unter anderem die Möglichkeit für hoch verschuldete Länder, ihre Schuldenquote langsamer zu senken, sofern sie glaubhafte Reform- und Investitionspläne vorlegen können.
Schätzungen der EU-Kommission zufolge werden in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Verteidigungsinvestitionen von etwa 500 Milliarden Euro benötigt. Mögliche EU-Projekte umfassen die Entwicklung eines europäischen Luftverteidigungssystems und Maßnahmen zur Sicherung der östlichen Landgrenze. Scholz regte zudem an, die Wettbewerbsregeln zu lockern, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Notwendigkeit unterstrich, dass die europäische Industrie von künftigen Investitionen profitiert.
Verteidigungsausgaben auf Rekordniveau
Die Verteidigungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten erlebten zuletzt einen signifikanten Anstieg. Laut einem Bericht der Europäischen Verteidigungsagentur stiegen die Ausgaben im Jahr 2022 um sechs Prozent auf insgesamt 240 Milliarden Euro. Deutschland verzeichnete einen Anstieg von 5,4 % auf 58 Milliarden Euro, was zeigt, dass das Land weiterhin in die Verbesserung seiner Verteidigungsfähigkeiten investiert. Der Gesamtanteil der Investitionen der EU überstieg dabei die Marke von 20 % und lag bei 24,2 %, wobei einige Länder wie Luxemburg sogar 53,5 % ihrer Ausgaben in Verteidigungsprojekte investierten, wie esut.de berichtet.
Trotz der insgesamt steigenden Ausgaben blieb die Investition in verteidigungsbezogene Forschung und Technologie rückläufig, was für die langfristige Innovationsfähigkeit der Europäischen Verteidigung besorgniserregend ist. Die EDA forderte daher mehr als 467 Millionen Euro zusätzliche Ausgaben, um die notwendige Benchmark von 20 % für kollaborative Forschung und Entwicklung zu erreichen.