In Syrien hat am 8. Dezember ein dramatischer Machtwechsel stattgefunden, der das Ende der langjährigen Assad-Diktatur markiert. Ahmad al-Scharra, bisher bekannt als Mohammed al-Dscholani, führt nun die Islamistentruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS). Er gibt sich pragmatisch und kündigt an, dass freie Wahlen durchgeführt und Minderheiten geschützt werden sollen. Trotz dieser Beteuerungen herrscht bei vielen ethnischen und religiösen Minderheiten große Skepsis gegenüber der neuen Führung. Insbesondere Alawiten, die als Anhänger des ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad gelten, befürchten Vergeltungsmaßnahmen, während es Berichte über Übergriffe und Morde an Minderheiten durch HTS und die Syrische Nationalarmee gibt. Dies wird von Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker als besorgniserregender Trend dargestellt, der auf eine zunehmende Islamisierung und mögliche Scharia-Anwendung hinweist.
Die Situation ist insbesondere für die Jesiden alarmierend, die bereits unter dem Völkermord durch den Islamischen Staat (IS) gelitten haben. Gohdar Alkaidy berichtet von gezielten Morden an jesidischen Zivilisten in Aleppo durch HTS. Die Jesiden, eine verfolgte religiöse Minderheit mit mehreren Hunderttausend Angehörigen in Irak, Syrien und der Türkei, kämpfen weiterhin gegen die Schatten eines Traumas, das noch nicht vollständig verarbeitet ist. Der Bundestag erkannte 2023 offiziell den Völkermord an den Jesiden an, was die internationale Aufmerksamkeit auf ihre Situation lenkt.
Politische Entwicklungen und Herausforderungen
Al-Scharra hat in einem Interview angemeldet, dass es bis zu vier Jahre dauern könnte, bis neue Wahlen in Syrien stattfinden. Dieser Zeitrahmen ist die erste konkrete Angabe zur möglichen Wahl-Agenda seit der Offensive von HTS gegen das Assad-Regime. Darüber hinaus wird die Erstellung einer neuen Verfassung bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen. Al-Scharra betont, dass der Wiederaufbau des rechtlichen Systems und eine umfassende Bevölkerungszählung unabdingbar für legitime Wahlen sind, um das Vertrauen in die neue Regierung zu stärken und die Rechte der verschiedenen Minderheiten zu schützen. In dieser vielschichtigen Gesellschaft leben ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Assyrer, Christen, Drusen, Alawiten und Arabische Sunniten, wobei letzterer die Mehrheit stellt.
Nach den Auseinandersetzungen sind einige Assad-Anhänger nach Irak geflohen, während mehr als 300 Personen in einer umfangreichen Festnahmewelle gegen Assad-unterstützende Kräfte verhaftet wurden. Unter den Verhafteten befinden sich Informanten und ehemalige Soldaten, ein Vorgehen, das mit der Unterstützung lokaler Bevölkerungsschichten durchgeführt wurde. Berichte über explosive Entwicklungen in den kurdischen Gebieten, die durch militärische Angriffe der Syrischen Nationalarmee bedroht sind, verstärken die Sorgen über eine Rückkehr zu Verfolgungen und Verbrechen an Minderheiten unter der neuen Regierung.
Die Rolle von Hayat Tahrir al-Sham
HTS, ursprünglich als jihadistische Gruppe bekannt, hat sich zwar von früheren Verbindungen zum IS und Al-Qaida distanziert, jedoch bleiben Unsicherheiten hinsichtlich ihrer zukünftigen Rolle in der syrischen Gesellschaft bestehen. Al-Scharra bezeichnet die bevorstehende nationale Dialog-Konferenz, bei der HTS „aufgelöst“ werden soll, als Test für die neue Führung. Die internationale Gemeinschaft bleibt weiterhin skeptisch, ob HTS in der Lage ist, das Vertrauen der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen zu gewinnen und die versprochenen Bedingungen für eine friedliche Koexistenz zu schaffen. Trotz dem äußeren Eindruck von Toleranz hat HTS tiefere Verbindungen zu ehemaligen IS-Mitgliedern, was die Bedenken über die Sicherheit der Minderheiten in der Region weiter anheizt.
Zusammengefasst zeigt sich, dass die Lage in Syrien nach dem Machtwechsel angespannt und ungewiss bleibt. Die Sorgen der Minderheiten über die fortwährende Gefahr von Übergriffen und Diskriminierung bleiben bestehen, während die neue Führung auf Herausforderungen bei der Etablierung eines stabilen politischen Systems stößt. Tagesspiegel berichtet über die zunehmenden Ängste von Minderheiten, während BBC die politischen Implikationen und Zeitrahmen beleuchtet. Zusätzlich gibt Deutschlandfunk nützliche Hintergrundinformationen zur ethnischen und religiösen Vielfalt Syriens und der damit verbundenen Herausforderungen.